Himbeersommer (German Edition)
ich ja noch nie erlebt. Der Muttermund ist schon ganz weit offen, aber der Gebärmutterhals noch nicht verkürzt.“
„Was heißt das?!“, will ich keuchend wissen und ahne, dass die Geburt mindestens so dramatisch werden könnte wie mein ganzes Leben.
„Das heißt… Ich hole mal besser einen Arzt.“
„Machen Sie das, aber schnell“, Magda klingt jetzt richtig sauer.
Die Hebamme eilt raus und ward nicht wieder gesehen.
Magda hält meine Hand, und ich bin ihr so unendlich dankbar, dass sie bei mir ist. Auf Freundinnen ist einfach Verlass.
„Ich probier’s noch mal bei Tobias. Oder doch Daniel?“ Magda sieht mich mitleidig an.
„Nein!“, entgegne ich jammrig und werde erneut von einer Wehe erfasst und in hohem Bogen fortgeschleudert. Wohin auch immer.
Von wegen Wehen kommen in sanften Wellen, wie Conny in unserem Kurs behauptet hat, das hier ist ein alles verwüstender Tsunami, und ich befinde mich einsam und allein auf einer spitzen Eisscholle!
Ein Arzt, der vermutlich letzte Woche seinen Doktor gemacht hat und mindestens so unsicher wie die junge Hebamme wirkt, kommt herein und strahlt mich übertrieben an.
„Ich habe gehört, wir haben hier einen ganz besonderen Fall?“
„Ich war schon immer was Besonderes. Aber ich bin kein Versuchskaninchen, ich will sofort einen richtigen Arzt“, blaffe ich ihn erstaunlich selbstbewusst an.
„Ich bin ein richtiger Arzt“, sagt er nur lächelnd, desinfiziert seine Hand und steckt sie mir sanft in die Scheide. Deutlich sanfter als die Hebamme gerade. Und ich bin mir sicher: Bei diesem Exemplar Mann handelt es sich eindeutig um einen verruchten Casanova.
Während er in meiner Gebärmutter wühlt, macht Casanova ein erstauntes Gesicht.
„Tatsächlich. Sehr interessant.“
Dann zieht er seine Hand wieder heraus, wäscht sie kurz ab und geht. „Ich werde das mit unserem Oberarzt besprechen“, sagt er noch und ist weg.
Magda will ihm empört hinterher, doch ich halte sie am Pulli fest und lasse sie nicht los. „Du bleibst hier! Oh Mann tut das scheiße, scheiße weh!“
„Pscht, gaanz ruhig, du musst dir vorstellen, du stehst auf einem Surfboard. Versuche immer auf der Welle zu reiten, sonst gehst du unter“, höre ich Magda durch die Brandung wispern. Auf einem Surfboard soll ich reiten? Ausgerechnet ich, die ich schon immer viel zu tollpatschig und schwächlich dazu war?! Während ich kraftlos in der Gischt liege, erinnere ich mich an unseren Urlaub in Andalusien vor sechs Jahren. Tobias und ich waren das zweite Mal zusammen im Urlaub und hatten uns in Tarifa zu einem Surfkurs angemeldet. Tobias konnte sofort surfen wie ein junger Gott, aber ich hing wie ein nasser, vollgesaugter Waschlappen im Wasser und habe es kaum geschafft, das Board zu erklimmen. Und wenn, dann kniete ich darauf, klammerte mich daran fest und machte eine hundeelende Figur. Der Surflehrer, ein gut gebauter, blondgelockter Klischee-Verschnitt, hatte aus tiefstem Herzen gelacht und gesagt, ich würde aussehen wie ein nasser Kater auf vier Pfoten.
Wieder schaffe ich es nicht, mich elegant auf das Surfbrett zu schwingen und gehe bei der nächsten Wehe komplett unter.
Gerade als ich mir sicher bin, genau jetzt zu ertrinken, und meine langweilige Kindheit bereits an mir vorbeiziehen sehe, spüre ich Tobias` kräftige Hand und höre seine beruhigende Stimme.
„Nora, Schnecki, was machst du nur für Sachen?!“
„Was ich für Sachen mache?! Ich gebäre einen Dinosaurier!“, schreie ich ihn an und werde zur Strafe erneut unter Wasser gezogen.
„Dinosaurier legen Eier“, ist Tobias` einziger Kommentar.
„Wo bleibt der Arzt? Das ist ja wirklich nicht zu fassen!“ Magda befreit sich aus meinem Klammergriff, patscht stattdessen Tobias` Hand in die meine und lässt uns für einen Moment alleine.
„Tobias, mach was, ich halt das nicht aus“, wimmere ich, als die nächste Welle unerbittlich anrollen spüre.
„Was soll ich denn machen?!“, fragt er mich unsicher und ist plötzlich sehr blass.
„Wehe, du kippst jetzt um!“
„Nein, mach ich schon nicht!“
„Ich will eine PDA!“, quetsche ich aus mir heraus und bäume mich auf, als ich erneut drohe, im Meer zu versinken.
„Das sind Presswehen, verdammt, ich kann nicht anders, ich muss pressen.“
Tobias wird noch blasser und ruft laut nach einem Arzt.
„Hilfe, wir brauchen einen Arzt“, schallt es aus ihm heraus und es klingt, als brauche er Hilfe.
Die Dicke mit den fettigen Haaren streckt ihren Kopf herein, sieht, dass ich presse und
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