Himmel der Suende
lachen.“
„Ehrenwort.“
„In meinen Träumen bin ich ein Engel.“ Sie wartete einen Moment, und Sergej sah, wie sie sein Gesicht beobachtete. Es fiel ihm wirklich schwer, nicht zu lachen; aber er hatte es versprochen.
„Aber keines dieser liebenswerten Wesen, die als Schutzengel unterwegs sind“, sagte sie. „Sondern eher ein Racheengel. Ein äußerst mächtiges Wesen, das Menschen, Dämonen und gefallene Engel dafür bestraft hat, sich gegen die Herrschaft Gottes aufzulehnen.“
„So wie bei Sodom und Gomorrha?“, fragte er.
„Sogar ganz genau so“, sagte sie. „Meinen Träumen zufolge war tatsächlich ich diejenige, die Sodom und Gomorrha dem Erdboden gleichgemacht hat.“
„Und das Narbengesicht war auch dort?“
„Nein“, antwortete sie. „Das heute war ein anderer Traum. Hast du jemals von den Grigori gehört?“
„Den Engeln, die die Menschheit vor Luzifer und seinen Dämonen beschützen sollten? Und die sich dann unter Azazel und Sam’Yaza gegen Gott auflehnten und mit den Menschen die Nephilim zeugten, um sie in einen Krieg gegen Gott zu führen?“
Mit vor Staunen offenem Mund blickte sie ihn an. Das hätte sie ihm nun wirklich nicht zugetraut. Sie wusste ja nicht einmal, woher sie selbst das wusste - abgesehen von ihren Träumen. Er zuckte mit den breiten Schultern.
„Ich bin ein Fan alter Mythologien“, sagte er, und es klang fast so, als sei ihm das peinlich. „Aber verrat das bloß niemandem.“
„In manchen meiner Träume führe ich die Engel an, die gegen diese Rebellen kämpfen“, sagte sie. „Das waren furchtbare Schlachten - verteilt über die ganze Erde. Und sie dauerten Jahrhunderte. Denn natürlich waren zur Bewachung der Erde nur die Besten unter uns ausgesucht worden. Unter diesen Abtrünnigen befand sich auch ein gewisser Bezal’El. Ach, jetzt verstehe ich. Bezal’El, nicht Bezaal oder so etwas.“
„Dein Angreifer?“
„Genau der“, sagte sie.
„Also sind deine Träume irgendwie Erinnerungen“, sagte er. „So unwahrscheinlich das auch klingen mag.“
„Ich denke, es ist eher umgekehrt“, widersprach sie. „Also, ich meine, dass ich den Namen in meine ohnehin schon wirren Träume eingebunden habe und mein Unterbewusstsein daraus eine Geschichte gesponnen hat.“
„Erzähl trotzdem weiter.“
„Bezal’El war einer der zwanzig Anführer der Grigori - nur Azazel und Sam’Yaza unterstellt. In meinem Traum stellte ich ihn und sein Kontingent in den Sümpfen und Marschgebieten des heutigen Frieslands, und es kam zu einer gewaltigen Schlacht. Am Ende waren wir siegreich, und ich schleuderte Bezal’Els verstümmelten Leib in das Moor, in der Annahme, dass er tot war.“
„Verstehe“, sagte Sergej nachdenklich. „Also gehen wir einmal davon aus, dass die ganze Engel-Geschichte etwas ist, das deine Fantasie zu wirklich merkwürdigen Träumen gesponnen hat, dass aber einige Teile davon im Kern wirklich der Wahrheit entsprechen und Erinnerungen sind.“
„Wie meinst du das?“
„Vielleicht kennst du Bezal’El aus deiner Zeit in Kiew“, sagte er. „Vielleicht war er dort Anführer oder zumindest ein hochrangiges Mitglied der Mafia. Und du hast irgendetwas getan, das seine schrecklichen Wunden verursachte und das so schlimm war, dass dein Verstand es aus deiner Erinnerung gelöscht hat.“
„Was könnte ich ihm denn getan haben?“
„Wer weiß“, sagte Sergej. „Vielleicht war es ein einfacher Autounfall, oder er war ein Freier, der dich vergewaltigen oder gar töten wollte, und du hast dich gewehrt. Vielleicht mit einem Messer, vielleicht mit heißem Öl ... oder einem Hammer.“
„Und das soll ich vergessen haben?“
„Das geschieht manchmal“, sagte Sergej. „Wenn das Erlebte so schrecklich war, dass der Geist es nicht verarbeiten kann.“
„Dann müsste ich vieles vergessen haben“, sagte sie, und ihre Stimme klang verloren. „Zum Beispiel meinen vierzehnten Geburtstag. Da hat mein Pflegevater, ich glaube, es war der vierte, mich mit in eine Kneipe genommen ...“ Sie stockte.
Sergej bedrängte sie nicht und wartete, bis sie von selbst fortfuhr.
„Eigentlich hatte er kein Geld für die Kneipe, und unser Verhältnis war auch kein besonders gutes, sodass ich mich schon wunderte, dass er mir zur Feier meines Ehrentages einen Besuch dort spendieren wollte.“
Erneutes Zögern.
„Aber das war auch nicht der Grund, aus dem heraus er mich mitgenommen hatte“, sagte sie dann. „Er hat mich einfach auf einen Tisch
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