Himmel der Suende
der Zukunft. Der Zukunft mit Magdalena. Wie würde sie wohl aussehen? Er würde mit Magdalena nicht in sein Haus an der Fifth Avenue einziehen, in dem er jetzt so lange gelebt hatte und in dem auch nahezu alles gelagert war, was er an Erinnerungen aus seinen früheren Leben gesammelt und behalten hatte.
Sicher, er würde das Haus in New York behalten - und wenn er selbst nur alle paar Jahre dorthin zurückkehren und in alten Erinnerungen schwelgen würde. Aber was Magdalena betraf- mit ihr wollte er ein völlig neues Leben beginnen, wenn sie erst einmal unsterblich war.
Er hatte sie noch nicht gefragt, wie sie am liebsten leben wollen würde, und er würde das noch tun - aber für den Fall, dass sie noch keine eigenen Vorstellungen hatte, hatte er sich schon ein paar Vorschläge ausgedacht.
Nachdem sie die vergangenen Jahre, bevor sie sich kennengelernt hatten, schon in New York verbracht hatte, würden ihr vielleicht jetzt die Tropen für ein paar Monate lang gut gefallen. Er dachte an die Karibik oder auch Indonesien - oder vielleicht auch die Malediven. Da sie ja jederzeit innerhalb weniger Minuten auf dem Festland sein konnten, hatte er keine Bedenken, dass es ihr dort vielleicht zu schnell langweilig werden konnte.
Vielleicht würde sie aber auch gerne für einige Zeit in der Stille der Wüste leben wollen. In der Sahara gab es wundervolle, bisher noch unentdeckte Oasen, in die sich nur alle paar Jahre einmal eine Karawane verirrte. Oder im Nationalpark am Fuße des Mount Kenya ... dem weiten Outback Australiens ... den Gletschern Islands ... den tiefen Wäldern Kanadas ...
Er konnte ihr aber auch all die Ruinen längst vergessener Zivilisationen und Stadtstaaten zeigen, von denen nur die wenigsten heute überhaupt noch bekannt waren. Mohenjo-Daro am Unterlauf des Indus im heutigen Pakistan, Harappa und Lothal ganz in deren Nähe. Städte, die schon vor über viertausend Jahren Zehntausende von Einwohnern hatten und über mit Asphalt gepflasterte Straßen, Abwassersysteme und Bewässerungskanäle verfügt hatten.
Jericho, Ninive, Byblos, Argos, Caral im heutigen Peru. Alles Städte, die zu erbauen er mit eigenen Händen geholfen hatte. Städte, deren früheste Geschichte er ihr erzählen konnte.
Durchaus möglich war aber auch, dass Magdalena, wie die meisten Amerikanerinnen, neugierig war auf good old Europe: Paris, Rom, Madrid, London, München, Wien, Prag, Budapest, Kiew … Edinburgh, die zweite Heimat ihrer Vorfahren - nach Karnak. Sie würde es lieben, diese in ihren Augen alten Städte zu erkunden und sie mit ihrer Schriftstellerneugier zu erforschen. Und er würde es lieben, ihr alles, was er von ihnen wusste, zu berichten - ihre Entstehung, ihre Entwicklungen.
Mithilfe des Di’Mai würde er sie sogar sehen lassen können, was er gesehen hatte - sie auch in Bild und Ton an seinen jahrtausendealten Erinnerungen teilhaben lassen können.
Außerdem würde er natürlich mit ihr tanzen gehen und sie in die schönsten Restaurants, die wildesten Spelunken führen ... ins Theater und ins Ballett, in die Oper, ins Kino ... Straßenfeste und Rockkonzerte ... Und würde mit ihr an seiner Seite all das noch einmal ganz neu und ganz frisch erleben: mit neuen Augen sehen.
Dank Magdalena war er jetzt nicht nur frei, sondern auch neugeboren. Die Millennien seines Lebens im Verborgenen lagen hinter ihm, und er würde sich freier bewegen können als jemals zuvor. Bereits jetzt fühlte er, wie er durch sie seine Neugier und seinen Hunger auf das Leben zurückgewonnen hatte.
Doch zunächst galt es, Nü Gua zu finden.
Axel flog wachsam an der Grenze ihres Territoriums entlang, in der Hoffnung, dass einer ihrer Wache haltenden Soldaten Kontakt zu ihm aufnehmen würde, um herauszufinden, ob er in friedlicher Absicht hier war oder als Feind.
Nur leider ließ sich niemand blicken.
Nach einer Weile entschied er sich, ihren Namen zu rufen, um auf sich aufmerksam zu machen. Doch auch jetzt rührte sich nichts. Trotz seiner anfänglichen Bedenken entschied er sich, einfach in ihr Gebiet hineinzufliegen. Er ließ eines seiner Schwerter erscheinen und packte es unten an der Klinge, sodass er Heft und Knauf als Zeichen des Friedens in die Höhe hob.
„Ich bin Azazel, der Löwe der Himmel!“, rief er und flog langsam voran. Er konnte an den in die Bergspitzen geritzten Symbolen genau erkennen, wo die Grenze verlief, und überquerte sie mit Bedacht. „Ich komme als Freund!“
Freund-eund-eund-eund, echoten die Berge
Weitere Kostenlose Bücher