Himmel der Suende
um ihn herum zurück, und erst dieses Echo machte ihn darauf aufmerksam, wie still es ansonsten um ihn herum war.
Axel behielt die Wolkendecke unter sich und jeden einzelnen der näheren Gipfel aufmerksam im Blick, um gegebenenfalls rechtzeitig auf einen unerwarteten Angriff aus dem Hinterhalt reagieren zu können. Die Elohim waren nicht zu unterschätzen, wenn es um das Verteidigen ihres Territoriums ging. Es wunderte Axel heute noch, wieso sie die Rebellion ihres Bruders und seine Machtergreifung so tatenlos über sich hatten ergehen lassen.
„Nü Gua“, rief er. „Ich komme in Frieden, um einen Gefallen zu erbitten.“
Nichts.
Er konzentrierte seine überirdischen Sinne noch ein wenig mehr und versuchte eine Spur ihrer Präsenz auszumachen, doch obwohl er jetzt immer tiefer in ihr Territorium hineinflog, regte sich nicht einer davon.
Axel beschloss, direkt zu ihrem Palast zu fliegen. Der lag gemäß seiner Erinnerung in der Spitze des höchsten Berges - thronte wie ein Adlerhorst über allen anderen.
Als er schließlich in seine Nähe kam und ihn erblickte, musste er daran denken, was Magdalena einmal gesagt hatte: dass sie jetzt endlich verstehen konnte, woher die Mythen von Städten und Schlössern in Himmeln stammten.
Nü Guas Palast war direkt aus dem Granit des Berges gehauen. Hier war nichts gemauert oder gezimmert. Und doch gab es Terrassen und Balkone, Säulen und Wehrgänge - und sogar Treppen. Das Dach selbst war die unbehandelte Bergspitze, sodass man die Festung erst bei genauerem Hinsehen entdecken konnte.
Axel flog einmal ganz um sie herum und wiederholte mit lauter Stimme, dass er in Frieden kam, um die Elohim zu ersuchen, ihm einen Gefallen zu tun. Und dann, endlich, spürte er eine Präsenz.
Das Gefühl war nur ein ganz schwaches. Es musste von tief im Innern des Palasts kommen. Ein letztes Mal wiederholte Axel seine Grußbotschaft, und als sie dann immer noch ohne Antwort blieb, entschied er, den Palast zu betreten.
Er landete auf einem der oberen Balkone, einem weiten Halboval ohne Geländer, und ging hinein.
Die gewaltige Palastanlage war alt und erweckte bei näherer Betrachtung nicht den Eindruck, dass hier in den letzten paar Hundert Jahren jemand gelebt hatte. Axel erinnerte sich gut an Nü Gua und daran, welch großen Wert sie immer auf Reinlichkeit gelegt hatte und vielleicht noch mehr auf Stil und einen pompösen Hofstaat. Es war überhaupt nicht ihre Art, ihren Wohnort so verkommen zu lassen, und Axel schloss daraus, dass sie tatsächlich schon lange ausgezogen sein musste.
Aber irgendjemand wartete jetzt im Innern des Palasts auf ihn. Axel konnte die Präsenz immer deutlicher spüren, je weiter er durch die großzügigen Säulenhallen hineinging.
„Nü Gua“, rief er sicherheitshalber wieder. „Ich bin es, Azazel. Ich komme in Frieden.“
Ein wenig kam er sich schon vor wie eine alte Schallplatte mit Sprung, aber er wollte auf keinen Fall riskieren, dass sie doch hier war, seine früheren Rufe vielleicht nicht gehört hatte und ihn entsprechend als Eindringling behandelte - als Feind und Angreifer - und bekämpfte.
Diese Elohim - so mächtig ... so wenig berechenbar.
Er wünschte sich von ganzem Herzen und bei Weitem nicht zum ersten Mal, er hätte nie etwas mit ihnen zu tun gehabt. Aber dann würde es ihn auch nicht geben. Sie hatten ihn schließlich erschaffen: ihn und seine Brüder und Schwestern. Er war geschaffen worden, ihnen zu dienen, die Erde und die Menschheit zu beschützen. Am Ende war er ins Zentrum ihrer Zwistigkeiten geraten, und ihm war keine andere Wahl geblieben, als gegen die eine Seite zu rebellieren, während die andere untätig zusah und sich schmollend in die Vergessenheit zurückzog. Aber wäre er nicht gewesen, wären auch sie früher oder später ausgemerzt worden, und deshalb schuldeten sie ihm etwas.
Er kam der Präsenz jetzt immer näher. Sie musste gleich im nächsten, vor ihm liegenden Raum sein - und wenn Axel sich recht an seine früheren Besuche hier erinnerte, war das der prunkvolle Thronsaal Nü Guas, vom Boden bis zur Decke mit den wertvollsten Jadeschnitzereien verkleidet und durch ein kompliziertes System von in den Felsen geschlagenen Röhren beleuchtet.
Doch als er diesen Raum jetzt vorsichtig und bewusst langsamen Schrittes betrat und noch einmal laut seine Friedensbotschaft wiederholte, erkannte er, dass nichts mehr übrig war von dieser früheren Pracht. Die Jade war verschwunden - vermutlich hatte Nü Gua sie zu ihrer
Weitere Kostenlose Bücher