Himmel der Suende
glaubte an die große Liebe, die wahre Liebe - daran, dass man sie nur einmal fand ... und dann nie wieder vergaß. Daran, dass sie keinen Raum ließ, jemanden anders zu lieben. Aber sie musste sich selbst gegenüber auch eingestehen, dass Man’El sie berührte, dass er etwas in ihr bewegte, nicht nur wegen des Traumes oder - wie er es genannt hatte - der Erinnerung. Während Sergejs Augen sie stets so anblickten, als sei sie sein kostbarster Besitz - etwas, das er mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln beschützen musste -, sah Man’El sie an, als wäre sie seine Göttin, das Zentrum all seiner Existenz, sein Grund zu leben.
Und da war, zu ihrer eigenen Überraschung, Raum in ihr für beides. Sie liebte es, von Sergej als Besitz betrachtet zu werden ... ihm zu gehören ... ihm zu dienen ... sich ihm hinzugeben. Doch zugleich war der Gedanke, jemand so Mächtigem Göttin zu sein, ein sehr schmeichelnder ... angebetet zu werden ... die Hingabe zu empfangen, die sie sonst nur darzubieten gewohnt war ... jemanden zu haben, der ihr dienen wollte - mit allem, was er hatte und war.
Aber wenn sie an die wahre Liebe glaubte, hieß das nicht, dass ihre Gefühle für Sergej schwächer waren, als sie glaubte, wenn sie an Man’El überhaupt nur dachte?
Doch Anya würde nie dazu kommen, sich diese Frage zu beantworten - denn genau in diesem Moment brach das Chaos los.
Sie hörte ein lautes Krachen, und die geballte Faust eines Mannes brach durch die zersplitternden Fliesen neben ihr und packte nach ihr, ehe sie überhaupt reagieren konnte. Gleich darauf eine zweite auf der anderen Seite, so als wäre die Wand aus Pappe. Sie schrie auf und sah, wie Sergej sich wie von einem Katapult geschossen in Bewegung setzte. Noch während er vom Türrahmen auf sie zuhechtete, hatte er bereits ein Messer und eine Pistole gezogen. Sie wehrte sich gegen die eisenharte Umklammerung aus dem Raum, der hinter der Dusche lag, und erkannte, dass Sergej die Pistole nicht abfeuern konnte, ohne sie dabei zu gefährden. Aber schon war er bei ihr und rammte die Klinge des Messers in einen der sie haltenden und an ihr zerrenden Arme.
Hinter der durchlöcherten Wand ertönte ein Schmerzensschrei, und einer der Arme verschwand wieder in dem Loch, das er geschlagen hatte. Sergej packte Anya, hieb mit dem Dolch nach dem anderen Arm, und als der kurz zuckte, zerrte er Anya frei.
„Raus hier!“, rief Sergej und stieß sie aus dem Badezimmer, in dem jetzt gerade die Dusche von der anderen Seite völlig eingeschlagen wurde. Sergej rannte hinter Anya raus ins Zimmer und hielt sich erst gar nicht damit auf, die Badtür zu schließen. Wer durch eine Steinwand schlagen und greifen konnte, war mit billigem Sperrholz ganz bestimmt nicht aufzuhalten. „Raus!“
Doch schon flog die Zimmertür nach innen auf.
Ein Wesen mit dem Kopf eines Mungos fauchte ihnen entgegen. Dicht hinter ihm eines mit dem Haupt einer Ratte.
Anya schrie aus Leibeskräften auf und wich den Händen, die sie packen wollten, nach hinten aus.
Sergej feuerte an ihr vorbei, und der Mungomann kippte gegen den anderen.
Da krachte es auch auf der anderen Seite des Raumes. Anya wirbelte herum und sah, wie Man’El durch die Verbindungstür zu seinem Zimmer herbeigeeilt kam, seinen Hammer in der Hand. Doch gleichzeitig zerbarst das Fenster, und auch von dort drangen die Angreifer ein. Mit zusätzlichem Schrecken sah Anya, wie der eben durch den Schuss zu Boden gegangene Mungo wieder auf die Füße kam.
Man’El stellte sich gegen die beiden, die durch das Fenster kamen, schlug das Schwert des ersten zur Seite und zertrümmerte ihm mit einem Aufwärtsschwinger den Kiefer. Aber da kamen auch aus seinem Zimmer Eindringlinge hinzu und stürzten sich von hinten auf ihn.
„Setze deine Macht ein, Ani’El“, rief er mit donnernder Stimme über die Schüsse hinweg, die Sergej abfeuerte, während er sich mit Hammer und Fäusten die Feinde vom Leib zu halten versuchte. Anya griff einen Stuhl und schlug ihn einem der Gegner ins Gesicht, der gerade aus dem Badezimmer kam und nach ihr greifen wollte. Doch der schüttelte nur den Kopf, packte den Stuhl und riss ihn ihr aus den Händen.
„Du bist mächtiger als sie alle zusammen!“, rief Man’El ihr zu. „Du musst dich nur erinnern! Schlage sie zurück!“
Doch sosehr Anya ihm in diesem Moment gerne geglaubt hätte, so wenig fühlte sie, was er meinte. Da war nichts an Stärke in ihr und Macht. Da war nur Angst.
Todesangst.
Inzwischen
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