Himmel uber Langani
feiern. Und lassen Sie die Finger vom Wodka, damit Sie nicht wieder stolpern und sich verletzen.«
Sie war gekränkt, weil er ihr unterstellte, dass sie bei ihrem Sturz betrunken gewesen war.
»Ich werde die ganze nächste Woche auf einem Kongress in New York sein«, meinte er, während er sich die Hände wusch – in Unschuld, dachte Camilla, weil er nichts mit ihren banalen, selbst verschuldeten Problemchen zu tun haben wollte. »Falls es zu Komplikationen kommt, rufen Sie sofort diese Nummer an. Ein Kollege wird sich im Notfall um Sie kümmern. Ich melde mich, sobald ich zurück bin. Also bekämpfen Sie Ihren inneren Schweinehund und seien Sie brav.«
Es war eine Erleichterung, wieder arbeiten zu können. Bereits am ersten Vormittag fragte sich Camilla, warum sie nur jemals unzufrieden mit einem Beruf gewesen war, den sie einem glücklichen Zufall zu verdanken hatte. Die heißen Scheinwerfer und der Staub im Studio erfüllten sie mit einem wehmütigen Gefühl, das ihr völlig neu war. Sie lächelte, schürzte die Lippen und wackelte im Takt eines Rocksongs der Stones mit den Hüften. Als sie herumwirbelte und über die Schulter blickte, wusste sie, dass ihre verführerische Ausstrahlung auf den Bildern gut zur Geltung kommen würde.
»Sie sind besser als je zuvor«, verkündetete James Mann, der Fotograf. »Einfach ein Traum. Und jetzt stemmen Sie die Hände in die Hüften und strecken den Po raus. Lächeln Sie, als wollten Sie mir alles geben, wonach ich mich sehne. Ja, genau! So ist es prima.«
Am Ende der ersten Woche hatte sie einige neue Aufträge erhalten und war ausgezeichneter Stimmung. Also war es doch nicht aus und vorbei mit ihrer Karriere, auch wenn die Korrektur ihrer Narbe noch drei oder vier Monate würde warten müssen. Möglicherweise würde sie sogar bei der Vermarktung einer neuen Bademodenkollektion mitwirken können. Tom steckte mitten in den Verhandlungen.
»Mir fällt ein gewaltiger Stein vom Herzen«, seufzte er. »Als du nicht mehr ans Telefon gegangen und einfach abgetaucht bist, ist mir ganz schön mulmig geworden. Aber jetzt benimmst du dich wieder wie ein Profimodel, bist immer pünktlich und hast laufend neue Vorschläge für Make-up, Frisur und Posen. So gefällst du mir schon viel besser.«
»Früher glaubte ich, dass ich nur rein zufällig an diesen Beruf geraten bin und dass er bloß zweite Wahl ist«, erwiderte Camilla. »Jetzt aber weiß ich, dass hier meine Begabungen liegen, und wenn ich weitermachen will, muss ich besser sein als alle anderen.«
Sie probierte Haarteile und Perücken aus, mit denen sie ihr Aussehen bis zur Unkenntlichkeit verändern konnte. Allerdings musste sie ihre Stirn auch weiterhin bedecken. Stundenlang studierte sie ihr Spiegelbild und suchte nach neuen Methoden, um ihre Augen, ihren Mund und ihre Gesichtszüge zu betonen, damit die Fotografen ihre Wandlungsfähigkeit erkannten und sie wieder buchten. Mittlerweile beklagte sie sich nicht mehr über Fotositzungen in zugigen Studios und jammerte auch nicht, wenn sie irgendwo auf dem Land in einem Transporter saß und warten musste, bis die Kulisse aufgebaut war oder die Sonne aufging. Außer ihrer Reisetasche, die Kosmetika, Lockenwickler, Haarbürsten und andere für ihren Beruf nötige Utensilien enthielt, nahm sie nun immer einen kleinen Aktenkoffer voller Bücher mit und verschlang in den Pausen Romane und historische Werke.
Als Edward nach London zurückkehrte, ließ sie sich die Fäden ziehen. Bald schon konnte sie die Narbe überschminken und die Stirn wieder frei tragen. Das reichte zwar nicht für Nahaufnahmen, doch wenn sie ein paar Meter entfernt auf und ab ging, tanzte, umhersprang oder wie eine mythische Schönheit in weichem Licht posierte, war von der Wunde nichts mehr zu sehen. Zeitungskolumnisten berichteten über sie, Zeitschriften baten um Interviews, und reiche Männer luden sie in ihre Opernloge, auf ihre Jacht oder in ihre Villa an der Côte d’Azur ein. Dank ihrer Schönheit und ihrer Professionalität konnte sie sich kaum mehr vor Anfragen retten. Tag für Tag quoll ihr Briefkasten förmlich über. Auch Tom sah sich in seinem Büro von Aufträgen bestürmt. Irgendwann wurde Camilla ihr eigener Erfolg langsam unheimlich.
»Ich schaffe in diesem Monat nicht noch mehr Partys und Empfänge«, meinte sie zu Tom. »Vor lauter Erschöpfung kann ich kaum noch schlafen. Ich fühle mich wie auf einem Karussell, das sich immer schneller und schneller dreht, und die einzige
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