Himmel uber Langani
schaffen. Also sprich nicht mit mir, als wärst du mein Hausarzt oder ein netter Onkel. Das würde ich nicht ertragen.«
»Was hast du nächste Woche vor? Bitte verzeih mir meine plumpen Annäherungsversuche. Ich würde dich gerne einladen, damit du wenigstens für ein paar Stunden auf andere Gedanken kommst. Wie wär’s mit einem gemeinsamen Mittagessen am Sonntag? Wir könnten aufs Land fahren und uns ein irgendeinem alten Hotel deftige englische Hausmannskost gönnen. Und anschließend gehen wir spazieren – oder wir watscheln, falls wir der Versuchung des Puddings erliegen. Wie klingt das?«
»Aber du weißt, dass ich nicht …? Dass ich nicht kann …?«
»Schon gut. Betrachte mich als wahren Freund und Vertrauten. Der Rest ist nicht wichtig. Also am Sonntag?« Als sie nickte, bekam er vor lauter Freude Herzklopfen. »Gut. Ich hole dich gegen zwölf in deiner Wohnung ab.« Er küsste sie auf die Wange. »Gute Nacht, Camilla. Pass auf dich auf.«
Nachdem die Eingangstür sich hinter ihm geschlossen hatte, ging Camilla zum Fenster und sah zu, wie er in seinen Wagen stieg und davonfuhr. Sie begriff noch immer nicht ganz, was gerade geschehen war. Er hatte sie geküsst! Dabei war sie seine Patientin, die Tochter alter Freunde und außerdem, wie er selbst betont hatte, nur halb so alt wie er. Das war doch ziemlich billig. Tom Bartletts Bemerkung fiel ihr wieder ein, und sie fragte sich, ob sie Edward vielleicht falsch eingeschätzt hatte – so wie ihr das auch mit vielen anderen Menschen passiert war. Trotz aller Bemühungen gelang es ihr nicht, diesen deprimierenden Gedanken zu verscheuchen, der sie zutiefst verunsicherte. Zum ersten Mal überlegte sie, was wohl aus seiner Frau geworden war. Er hatte sie nur ein Mal erwähnt, und zwar an jenem ersten Abend, als er mit ihr ins Kino und zum Essen gegangen war. Nie hatte sie sich nach seiner Ehe oder seiner Vergangenheit erkundigt. Vielleicht wusste Marina ja Bescheid. Doch eigentlich war das nicht weiter wichtig. Camilla sah auf die Uhr. Es war schon sehr spät, und sie war müde. Morgen kam ihr Vater zurück, aber er würde erst am frühen Abend da sein. Also brauchte sie nicht schon im Morgengrauen aufzustehen.
Sie wusch sich und fiel ins Bett. Da der mitgebrachte Roman sich in ihrer Hand unangenehm schwer anfühlte, legte sie ihn weg und löschte das Licht, in der Hoffnung, endlich Ruhe zu finden. Aber zu ihrer Verzweiflung musste sie ständig an Giles Hannington. Liebte er ihren Vater womöglich wirklich, wie er behauptet hatte? Sie fragte sich, wie viele andere Männer in Georges Leben eine Rolle spielten und ob er eine Vorliebe für rein körperliche Begegnungen hatte. Es hatte den Anschein, als ob homosexuelle Männer sich ständig auf der Pirsch befanden, und die wenigen Paare, die sie kannte, waren noch nicht lange zusammen. Nach Camillas Auffassung neigten Schwule zu häufigem Partnerwechsel. Sie konnte sich kaum vorstellen, dass sich ein gebildeter, weltgewandter, charmanter und allseits geachteter Mann wie George Broughton Smith inmitten von schrillen Tunten und eitlen jungen Burschen wohl fühlte. Als sie endlich einschlief, träumte sie, dass Edward und ihre Mutter zusammen mit dem Zug weggefahren waren, während sie selbst auf dem Bahnsteig zurückblieb und ihrem schluchzenden Vater ihr Verschwinden erklären musste.
Am nächsten Morgen fühlte sie sich wie gerädert. Marina schlief noch, und Mrs. Maskell machte sich in der Küche zu schaffen, als Camilla hereinkam, um sich etwas zum Frühstücken zu holen. Lustlos blätterte sie in der Zeitung, trank ihren Kaffee und trödelte herum. Sie hatte keine Lust, den Tag in Angriff zu nehmen.
»Heute muss ich lange arbeiten«, meinte sie zu Mrs. Maskell. »Aber mein Vater kommt abends zurück, also müsste für die Nacht alles geregelt sein. Er soll Dr. Ward anrufen, sobald er hier ist. Könnten Sie ihm das bitte ausrichten oder ihm einen Zettel schreiben?«
»Haben Sie heute einen wichtigen Termin, meine Liebe?« Mrs. Maskell unterhielt ihre Freundinnen gern mit ausgeschmückten Berichten von Camillas Fotositzungen.
»Heute? Ja, das wird bestimmt eine große Sache. Fotos für die Cornflakes-Werbung. Der Inbegriff des Mondänen. Zumindest wenn man die Strickwarenaufnahmen nicht mitzählt. Letzte Woche musste ich mich in so viele Wollpullover quälen, dass ich immer noch einen Ausschlag am Rücken habe. Es juckt mich, wenn ich nur daran denke.« Camilla lachte auf. »Das Leben eines Models ist nicht
Weitere Kostenlose Bücher