Himmel uber Langani
Janni. Bitte. Hör auf damit. Wenn du mich liebst, hör auf damit.«
Trotzig führte er das Glas an die Lippen und leerte es mit einem langen Schluck. Dann knallte er es auf den Tisch und stürmte hinaus. Lottie stand auf, räumte den Tisch ab und warf Jans unberührtes Abendessen in den Mülleimer. Als sie ins Schlafzimmer kam, schlief er bereits und schnarchte. Sie betrachtete die Sorgenfalten auf seinem Gesicht, die geplatzten Äderchen auf seiner Nase, seine verquollenen Züge und den Speichelfaden, der sich an seinem Mundwinkel gebildet hatte. Inzwischen widerte es sie an, dass er im Bett nach Alkohol roch. Außerdem litt er an Albträumen. Es war wieder wie in den Monaten nach dem Mau-Mau-Aufstand und den Ermittlungen, als er in einem Strudel der Verzweiflung versunken war und sie um seinen Geisteszustand gefürchtet hatte. Eigentlich ist er ein guter Mensch, sagte sie sich, als sie hellwach neben ihm lag. Früher war er ein liebevoller Ehemann und Vater gewesen. Doch inzwischen war er ein besserer Sklave. Kobus hatte Spaß daran, seinen Cousin zu erniedrigen und zu zerstören, und Lottie war überzeugt, dass der brutale Mensch sich dadurch in seiner Macht bestätigt sah. In letzter Zeit hatte er außerdem begonnen, ihr Avancen zu machen, und seine tückischen und lüsternen Blicke lösten bei ihr eine Gänsehaut aus. Verzweifelt dachte sie an ihren ermordeten Sohn und fragte sich, was wohl aus ihrem Mann werden würde.
Doch ohne Geld gab es kein Entrinnen aus diesem schrecklichen Land. Hannah hatte bei ihrer Flucht ihre kläglichen Ersparnisse mitgenommen, und es wäre ohnehin nicht genug gewesen. Jan verdiente einen Hungerlohn, und selbst wenn er mit dem Trinken aufgehört hätte, hätten sie es niemals geschafft, genug für eine Rückkehr nach Kenia beseite zu legen. Sie hörte, wie er im Schlaf mit den Zähnen knirschte und vor sich hin murmelte, und schickte ein Stoßgebet zum Himmel, Gott möge ihr einen Weg zeigen, ihn von hier fortzuholen und ihm seine Würde und einen Sinn im Leben wiederzugeben. Lottie zog ihren alten Morgenmantel an und ging in die Küche, um Tee zu kochen und noch einmal gründlich nachzudenken. Sie hatte einen Verbündeten, auf den sie sich immer verlassen konnte. Vielleicht würde er ihr ja genug Geld leihen, damit Jan und sie wieder nach Kenia übersiedeln konnten. Morgen würde sie ihren Bruder in Johannesburg anrufen. Sie kehrte ins Schlafzimmer zurück und schlief sofort ein, ausnahmsweise einmal ohne sich von Jans alkoholgeschwängertem Schnarchen stören zu lassen.
Als sie am nächsten Morgen mit Sergio telefonierte, bekam sie vor lauter Tränen kaum ein Wort heraus. Ihr Bruder bot ihr sofort seine Hilfe an.
»Komm mit ihm her, Carlotta. Es wird ihm gut tun, und du brauchst dringend jemanden, der sich um dich kümmert. Und wenn es nur für eine Woche ist. Vielleicht finden wir ja Arbeit für ihn. Wenn er sich so strikt gegen eine Rückkehr nach Langani wehrt, könnte er möglicherweise auf einer Zuckerplantage in Natal oder einer Farm in der Kap-Provinz anfangen. Hol ihn nur her, dann fällt uns schon etwas ein.«
»Wenn er erfährt, dass ich das alles geplant habe, wird er sich weigern.« Es schnürte ihr die Kehle zu.
»Weine nicht, cara . Ich schicke dir die Tickets. Dann schreibe ich euch, dass ich euch beide vermisse und dass wir uns viel zu lange nicht gesehen haben. Und wenn dein Mann erst einmal hier ist, biegen wir ihn schon wieder hin.«
Ein wenig aufgemuntert, ging Lottie los, um ihre fertigen Näharbeiten bei einer Kundin abzuliefern. Die Engländerin wohnte in einem Farmhaus mit einem Blumengarten, der in Lottie stets schmerzliche Erinnerungen wachrief. Janni gegenüber erwähnte sie den Anruf in Johannesburg nicht, aber sie wartete ungeduldig auf den Brief mit den Tickets. Jan hatte ihren Bruder sehr gern, und wenn er auf jemanden hören würde, dann war es Sergio. Auch sie selbst sehnte sich sehr nach ihrem Bruder und nach einer starken Schulter, an die sie sich anlehnen konnte. Seit Piets Tod verbarg sie ihre Trauer und weinte nur tagsüber oder spätnachts, wenn Jan nicht da war oder schlief. Ihm zuliebe beherrschte sie sich, doch inzwischen stand sie kurz vor dem Zusammenbruch.
Obwohl Johannesburg die Stadt ihrer Kindheit war, fühlte sie sich dort nicht besonders wohl. Nun jedoch freute sie sich über die Gelegenheit, ihrer desolaten Lage zu entrinnen. Fünf Tage später trafen die Tickets ein. Lottie öffnete den Umschlag und las erleichtert den
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