Himmel uber Langani
großen Druckbuchstaben gehalten. Tim und Deirdre hätten beschlossen zu heiraten und planten eine Hochzeit im kleinen Kreis kurz nach Ostern. Sarah müsse unbedingt nach Hause kommen, und sei es nur für eine oder zwei Wochen. Raphael könne ihr das Geld für den Flug schicken. Es wäre doch das Beste, wenn sie sich ein wenig Urlaub nehme, um Abstand von der Tragödie der letzten Wochen zu gewinnen. Alle vermissten Sarah sehr und sehnten sich danach, sie an sich zu drücken und sie in ihrem Schmerz zu trösten, mit dem sie Tag und Nacht leben müsse. In der Praxis und im Haus ginge es wunderbar voran. Sarah könne sich gar nicht vorstellen, wie gut der Garten und die Ställe bereits aussähen. Tims Brief war wie immer kurz und kaum zu entziffern. Es sei unmöglich für ihn zu heiraten, solange sich seine kleine Schwester auf der anderen Hälfte des Erdballs herumtrieb. Vielleicht sei es ja Wahnsinn, aber Deirdre liebe und brauche ihn, und deshalb werde er jetzt den großen Sprung wagen. Aber das Wichtigste sei, dass Sarah mit dabei sein müsse.
Sie wusste sofort, dass sie nicht hinfliegen würde. Sie wollte nicht fort von hier, ja, nicht einmal nach Langani. Nur in der kargen Schönheit dieses unwirtlichen Landes würde es ihr gelingen, sich irgendwann mit ihrem Schicksal auszusöhnen und Frieden zu finden. Nur hier konnte sie lernen, sich an Piet zu erinnern, ohne jedes Mal innerlich zu sterben, wenn sie an ihn dachte. Hier würde sie es schaffen, ihren Verlust zu verarbeiten und ihn so glücklich und voller Tatendrang im Gedächtnis behalten, wie er zu Lebzeiten gewesen war. Wenn sie fortging, würde sie daran zerbrechen. Von den Erwartungen ihrer Mitmenschen, wie sie sich nun, nach seinem Tod, verhalten sollte, fühlte sie sich unter Druck gesetzt, denn außerhalb des Camps war sie gezwungen, dem Bild zu entsprechen, das ihre Umwelt von ihr hatte – als Objekt von Mitleid und Anteilnahme. Sie aber fühlte sich vom Beileid anderer erstickt. Im Camp hingegen hatte sie ein Ziel, eine Aufgabe und die Möglichkeit, etwas zu bewirken, auf das auch Piet stolz gewesen wäre. Sarah faltete die Briefe ordentlich zusammen und legte sie in die Schreibtischschublade. Dann setzte sie sich in das kleine Büro und versuchte, Dans Notizen zu entziffern. Doch kurz darauf meldete sich Lars am Funk. Er hatte Neuigkeiten aus Langani, denn Jeremy Hardy konnte endlich mit neuen Ergebnissen aufwarten.
»Es ist zwar niemand verhaftet worden«, hatte Hardy berichtet, »aber ich muss Ihnen etwas sagen.« Die Hände auf dem Rücken, ging er im Zimmer hin und her. »Heute Morgen haben wir einen Bericht von einem Suchtrupp bekommen, der in den dichten Wäldern gleich hinter Ihrer Grundstücksgrenze unterwegs war. Auf einer Lichtung dort wurde eine verlassene, notdürftig zusammengezimmerte Hütte entdeckt. Eigentlich eher ein Verschlag, wie Wilderer ihn benutzen.« Hardy hielt inne und drehte sich zu Hannah um. »Auf dem Boden lag ein Haufen Knochen. Sie stammten von einem Menschen.«
Lars hörte Hannah nach Luft schnappen und legte ihr die Hand auf die Schulter. Sie saß stocksteif da und blickte zum Berg hinüber.
»Ich bin natürlich sofort hingefahren«, sprach Hardy weiter. »Denn ich wollte mir selbst ein Bild von der Lage machen. Auf der Lichtung sah ich die Asche eines Feuers und ein paar herumliegende Knochen. Außerdem waren da noch einige Kultgegenstände der Kikuyu. Muschelschalen, verschiedene Lederriemen von einem Arm- oder Beinschmuck, ein Stück Kupferdraht und ein panga . Außerdem haben wir in einem Gebüsch ein paar hundert Meter entfernt einen Federkopfschmuck entdeckt, der aussah, wie Sarah ihn beschrieben hat. Offenbar hat der Träger auf der Lichtung Rast gemacht, um sich eine Mahlzeit zuzubereiten. Wir sind sicher, dass der Tote etwas gekocht hat, denn wir haben auch die Knochen einer kleinen Antilope sichergestellt.«
»Also ist er tot.« Hannahs Stimme klang tonlos und hart.
»Das kann ich nicht mit Gewissheit sagen. Allerdings ist uns keine Vermisstenmeldung aus diesem Gebiet bekannt, und der Fundort stimmt mit der Route überein, die Simon in der fraglichen Nacht vermutlich genommen hat. Also ist es logisch anzunehmen, dass er den Berg auf dem Weg über die Felsen verlassen und sich dann am Rand der Ebene entlanggeschlichen hat, bis er einen Teil des Waldes erreichte, wo er sich gut verstecken konnte.«
»Und wie ist er gestorben?«, stieß Hannah mühsam hervor.
»Sieht nach Hyäenen aus. Es muss ein
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