Himmel über Darjeeling
Fenstern, geschnitzten Balustraden und Schindeldächern, von Kletterpflanzen und errötenden Fuchsien umrankt. In raschem Trab ließ er die Stadt hinter sich, gab dem braunen Wallach die Sporen und ließ ihn die schmalen Straßen hinaufgaloppieren, zwischen steilen, bewaldeten Hängen und den nach der Ernte verlassen daliegenden Teepflanzungen hindurch, die im Sonnenlicht glitzernden Schneefelder des Himalaya immer fest im Blick.
In einer Staubwolke zügelte er sein Pferd, als er die letzte Anhöhe erreicht hatte, und sah hinab in das Tal, das sich vor ihm ausdehnte. Meilenweit erstreckten sich die dicht bewachsenen Teefelder, durchsetzt von einzelnen Kiefern, Hecken und von Wildblumen übersäten Wiesen. Eingebettet in einen großen, parkähnlichen Garten, umgeben von mächtigen Eichen und Kastanien und bis weit in die Ferne leuchtenden Blumenrabatten erhob sich ein mächtiges, zweistöckiges Haus, das noch größer wirkte durch die säulenumstandene Veranda und die umlaufenden geschnitzten Balkone des oberen Stockwerks. Und auch wenn er noch zu weit entfernt war, um die Inschrift des Torbogens vor der kiesbestreuten Auffahrt entziffern zu können, so wusste er dennoch, dass sein Ziel greifbar nahe war. Mit einem tiefen Atemzug gab er dem Wallach die Sporen und jagte den Hügel hinab.
Sie sah ihn nicht kommen, und so hatte er genug Zeit, sie genau zu betrachten, als er sich ihr Schritt um Schritt näherte, den ganzen Weg von der Veranda über den Rasen, vorbei an den blühenden Rhododendren und dem duftenden Jasmin, durch den eine leichte Brise strich. In einem einfachen Hemd, in dem sich der Wind fing, Reiterhosen und Stiefeln beugte sie sich über die noch niedrigen, aber bereits üppig blühenden Rosensträucher und schnitt Zweige heraus, lachte und scherzte mit einem der bágbáns , der Gärtner, der ihr dabei zur Hand ging. Sie hatte sich verändert in dem halben Jahr, und das nicht nur äußerlich. Zwar noch immer schlank, wirkte sie nicht mehr so mager wie bei ihrer Begegnung auf dem Ball; deutlich zeichneten sich die Rundungen ihres Körpers unter den dünnen Stoffen ab. Ihre Haut war leicht gebräunt, die ungebärdige Fülle ihres Haares, von der Sonne zu einem hellen, kupfern schimmernden Blond gebleicht, mit einem einfachen Band zusammengefasst. Sie schien selbstsicherer, gelöster, fast glücklich, und sosehr es Richard freute, sie so zu sehen, versetzte es ihm dennoch einen Stich, und einen Augenblick lang glaubte er, einen Fehler begangen, eine Chimäre gejagt zu haben. Dann richtete sich Helena auf, wischte sich mit dem Handrücken lose Haarsträhnen von den schweißfeuchten Schläfen, und ihr Blick fiel auf ihn.
Verwundert runzelte sie ihre Stirn, überlegte sichtlich einen Moment, in dem Richards Herzschlag kurz aussetzte, ehe ein Erkennen über ihr Gesicht glitt, dann schließlich ein freudiges Strahlen, das tief in Richards Innerstes drang.
»Mr. Carter!« In langen Schritten kam sie über den Rasen zu ihm, schälte die unförmigen Handschuhe von ihren Fingern und streckte ihm ihre Rechte zur Begrüßung hin.
»Es ist mir eine Freude, Sie wiederzusehen, Mrs. Neville«, antwortete er mit ironischer Förmlichkeit und beugte sich über ihre Hand. Heiß schoss Helena das Blut ins Gesicht – sowohl aufgrund seines unerwarteten Erscheinens, seiner Berührung als auch ihrer Aufmachung wegen.
»Verzeihen Sie meine für Ihren Besuch unpassende Kleidung, aber ich hatte keine Ahnung …«
»Verzeihen Sie bitte meine Unverfrorenheit, Ihrem Mädchen eine korrekte Anmeldung untersagt zu haben, aber ich wollte Sie überraschen. Wir Amerikaner sind ja bekannt für unsere schlechten Manieren!«
Helena stimmte in sein Lachen ein. »Davon habe ich bislang nichts bemerkt. Aber das mag gewiss auch daran liegen, dass meine eigene Erziehung in dieser Hinsicht reichlich zu wünschen übrig ließ. Wenn Sie mich dennoch kurz entschuldigen würden, damit ich mich …« Sie zupfte verlegen am Kragen ihres Hemdes, und in diesem Augenblick war sie wieder das unsichere, schüchterne Mädchen, dessen Bild er so lange in seiner Erinnerung mit sich getragen
hatte.
Richard machte eine abwehrende Geste. »Bemühen Sie sich nicht meinetwegen. Ich finde, Sie sehen reizend aus.«
Helena, die bereits mit großen Schritten auf die Veranda zugeeilt war, drehte sich bei seinen letzten Worten um und sah ihn forschend an, in einer Spur von Verlegenheit eine Haarsträhne hinter das Ohr streichend.
»Gut«, nickte sie, sichtlich
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