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Himmel über Darjeeling

Himmel über Darjeeling

Titel: Himmel über Darjeeling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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fühlte sie sich auch jetzt. In der Anordnung des Mobiliars war dieses Zimmer genau das spiegelbildliche Pendant zu ihrem, dabei aber schlichter, maskuliner eingerichtet, mit warm schimmernden Hölzern und dunklen Polstern, das breite Bett mit schmucklosem weißen Leinen bezogen. Ob er hier mit Shushila … Schnell verbannte sie diesen Gedanken und begann, die Schubladen der Kommode unter dem Spiegel nacheinander aufzuziehen. Rasierzeug, ein Kästchen mit Manschettenknöpfen und Krawattennadeln, ein Kamm, Taschentücher mit eingesticktem Monogramm – alles einfach, aber edel, und nur das Notwendigste. Helena kniete gerade vor der kleinen Tür unten rechts, kramte zwischen Seifenstücken und akkurat gefalteten Handtüchern, als ein leises Geräusch sie auffahren ließ. Erschrocken sahen sie und Shushila sich an, beide gleichermaßen fassungslos und
starr.
    »Memsahib«, murmelte Shushila schließlich und raffte ihren einfarbig grünen Morgenrock fester vor der Brust zusammen, ihr Haar wie ein Strang glatter schwarzer Seide über die Schulter fließend, »ich hatte ein Geräusch gehört und wollte nachsehen.«
    »Ich – ich …«, stotterte Helena, rang verlegen nach Worten, einer glaubhaften Ausrede, vergeblich, und senkte dann beschämt den Kopf. Ein verständnisvolles Lächeln glitt über Shushilas braunes Gesicht.
    »Ich weiß, wonach Sie suchen, Memsahib. Doch Sie werden nichts finden. Huzoor ist ein Mann mit Vergangenheit, das wissen alle hier im Haus, wenn wir auch von nichts Genauerem Kenntnis haben. Er trägt diese Vergangenheit immer mit sich, allein in seinem Herzen – das kann man in seinen Augen lesen.«
    »Und warum erzählt er mir so gar nichts davon?«, fragte Helena leise, mehr an sich selbst gerichtet, ohne zu bemerken, dass sie ihre Worte auf Hindustani gesprochen hatte.
    »Weil er Sie davor schützen will, Memsahib«, antwortete Shushila weich.
    »Das glaube ich nicht«, gab Helena zurück, stand auf und warf in einer energischen Bewegung ihr Haar über die Schulter. »Wovor sollte er mich denn schützen wollen?« Herausfordernd sah sie Shushila an.
    Die junge Inderin schwieg einen Augenblick, als wöge sie ihre Worte genau ab, ehe sie entgegnete: »Es gibt Geheimnisse, die gefährlich sind, und ich glaube, huzoor trägt ein solches Geheimnis.«
    »Unsinn«, gab Helena hitzig zurück, und die Stiche der Eifersucht, dass Shushila Ian so gut kannte, nahmen ihr beinahe den Atem, doch ehe sie weitersprechen konnte, fiel Shushila ihr sanft ins Wort.
    »Dann sagen Sie mir, dass Ihnen das, was Sie in seinen Augen gesehen haben, keine Angst macht.«
    Helena senkte den Blick, wohl wissend, dass sie Shushila nicht zu widersprechen vermochte. Sie kämpfte ein paar Augenblicke mit sich, ihrem Stolz, ehe sie leise fragte: »Was kann ich denn tun?«
    »Sie sind stark, Memsahib, Sie haben ein Kämpferherz. Geben Sie nur Acht, dass er Sie nicht mit in den Abgrund reißt. – Gute Nacht, Memsahib.« Mit einem leichten Knicks verabschiedete sich Shushila und zog leise die Tür hinter sich zu.
    Wie betäubt stand Helena noch einige Herzschläge lang unbeweglich in Ians Zimmer, ehe sie mit müden Schritten hinüber in ihr eigenes ging, in der Hoffnung, dass es bald Morgen würde.

24
      E s war nichts Ungewöhnliches, dass die Memsahib frühmorgens auf eigene Faust ausritt, und Helena war froh, dass deshalb keines der Mädchen und keiner der Stallburschen Fragen stellte, als sie sich in Hemd und Reithosen auf Shakti schwang, nur kurz über ihre Schulter hinweg Bescheid gab, dass man nicht mit dem Lunch auf sie warten sollte, es könne später werden, und davongaloppierte, bemüht, sich nicht allzu sehr anmerken zu lassen, wie sehr es sie danach drängte, vom Haus fortzukommen, alles hinter sich zu lassen.
    Richard erwartete sie bereits, südlich der Stadtgrenze, wie verabredet. Helena war zwar wagemutig, aber allzu offen wollte sie ihren Ruf nicht aufs Spiel setzen, indem sie sich mit einem fremden Mann ohne Anstandsbegleitung in der Stadt zeigte. Unwillkürlich trieb sie Shakti zu einem schnelleren Tempo an, als sie ihn von weitem sah, auf dem massiven braunen Wallach mit der hellen Blesse, in seinem legeren braunen Reitanzug, als er sein Gesicht ihr zuwandte und sich ein Lächeln darauf ausbreitete.
    Sie ritten ein paar Meilen weiter nach Süden, einen Weg entlang, der steil in die Hügel hinaufkroch. Hoch aufgeschossene Gräser und Wildkräuter streiften ihre Stiefel, die Flanken der Pferde; hin und wieder

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