Himmel über Darjeeling
Glanz unzähliger Lichter, reflektiert von seidig glattem Stein, poliertem Holz, von Silber, Gold und den Facetten farbiger Edelsteine. Trotzdem ging er mit festen Schritten weiter. Der hohe Flor des Teppichs schluckte jegliches Geräusch seiner Stiefel, und auch sonst lag der weite, hohe Raum in absoluter Stille. Zu beiden Seiten seines Weges knieten Dienerinnen, die Hände zum Gruß aneinander gelegt, den Kopf so tief gesenkt, dass Winston nur die von den Enden ihrer Saris verhüllten Scheitel sehen konnte. Gut fünfzig Schritte von ihm entfernt stand ein niedriger, großflächiger Tisch, umgeben von üppig bestickten Polstern und gänzlich bedeckt von silbernen und goldenen Platten und Schüsseln, beladen mit farbenprächtigen, schon von weitem köstlich duftenden Gerichten. Und weitere zehn Schritte dahinter erhob sich auf einem mehrstufigen Podest der gaddi , der Thron des Fürsten, im Schein der Lampen einen Funkenregen aus den Rubinen, Smaragden und Saphiren aussendend, mit denen er besetzt war.
Winston hatte genaue Anweisungen erhalten, wie er sich einem Herrscher zu nähern hatte, doch sein Instinkt riet ihm, keine Demut zu zeigen, und als er den Tisch erreicht hatte, blieb er stehen und hob seinen Blick.
Dheeraj Chand mochte gut sechzig Jahre zählen. Seine Schläfen unter dem Turban waren fast vollständig ergraut, ebenso wie sein Bart. Auch wenn er sichtlich in die Jahre gekommen war, erste Anzeichen von Fülle zeigte, sah man ihm noch immer den geschmeidigen Krieger vergangener Tage an. Die beiden Männer musterten sich in einem stummen Kräftemessen. Selbst auf die Distanz hin bemerkte Winston die Kälte und Härte in den dunklen Augen Chands, die sie wie aus Stein geschnitten wirken ließen, so gänzlich verschieden von den Augen des jungen Mannes, der zu Chands Rechter neben dem Thron stand, in die exakt gleiche Uniform gekleidet: weiße Jodhpurs, eine lange weiße Jacke, goldfarben bestickt, ebenso wie die scharlachrote Schärpe, deren Grundfarbton sich in dem des Turbans wiederholte. Und doch verband sie eine gewisse Ähnlichkeit, auch wenn der junge Mann, nur wenig jünger als Winston selbst, den Engländer, der so wenig ehrerbietig vor ihnen stand, ebenso neugierig wie belustigt anfunkelte. Vier Rajputenkrieger mit grimmigen Mienen, die Hände kampfbereit an den Griffen ihrer Schwerter, säumten die Seiten des Podests.
»Ich bin Dheeraj Chand«, durchbrach schließlich donnernd der Raja das Schweigen und hob die von schweren Ringen geschmückte rechte Hand. »Mein jüngster Sohn, Mohan Tajid Chand.«
»Eure Hoheit, ich komme im Auftrag Ihrer Majestät von England, Königin Victoria«, entgegnete Winston nicht minder bestimmt in fehlerfreiem Hindustani, schlug die Hacken zusammen und erhob die Hand zum militärischen Gruß. »Captain Winston Neville.«
2
S chweigend musterte Dheeraj Chand den Soldaten, der seinen Blick ungerührt erwiderte, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, eine kleine Ewigkeit lang. Winston spürte, wie ihm kalter Schweiß den Rücken herabzurinnen begann, und er überlegte, ob der Raja ihn einfach des Palastes verweisen oder wilden Tieren zum Fraß vorwerfen würde, doch seine Miene zeigte keinerlei Regung.
»Entweder sind Sie besonders anmaßend oder besonders mutig«, durchschnitt die tiefe Stimme des Fürsten endlich das drückende Schweigen.
»Weder noch, Eure Hoheit. Ich komme als Abgesandter eines gekrönten Hauptes zum Herrscher eines anderen Landes. Nicht mehr und nicht weniger«, entgegnete Winston mit fester Stimme.
Dheeraj Chand stützte sein Kinn in die Hand und sah Winston mit sichtlichem Interesse an.
»Eine kluge Antwort. In jedem Fall scheinen Sie außergewöhnlich gute Kenntnisse unserer Sprache zu haben. Das sollte belohnt werden.«
Leichthin klatschte er in die Hände, worauf Winston hinter seinem Rücken ein leises Rauschen wie von unzähligen Vogelschwingen vernahm. Die Dienerinnen, die stumm und reglos wie Statuen auf dem Boden gekauert hatten, schwärmten ebenso eilig wie anmutig aus, um chai zu holen und die ziselierten Deckel von einigen der Platten und Schüsseln zu entfernen, die die Gerichte darunter warm gehalten hatten.
Majestätisch erhob sich der Raja und schritt die Stufen des Podestes hinab.
»Seien Sie heute mein Gast, Captain Neville.«
Mit gekreuzten Beinen ließen sie sich auf den Polstern rings um den gedeckten Tisch nieder, der Fürst gegenüber von Winston, sein Sohn zwischen ihnen. Selbst in dieser legeren
Weitere Kostenlose Bücher