Himmel über dem Kilimandscharo
vornüber im Sattel, dass von Roden nicht umhin kam, sich zu fragen, wie lange er sich wohl auf dem Tier halten würde.
» Hören Sie, Ohlsen! So hat das keinen Zweck. Reiten Sie zurück auf die Plantage, das ist nicht allzu weit, dort wird man Sie versorgen. Wir werden Ihre Frau in Moshi finden und Ihnen Nachricht geben…«
» Ich reite dorthin, wo Charlotte ist…!«
Damit verschwand er hinter der nächsten Biegung. Was für ein sturer Bursche!, dachte von Roden. Aber hätte er selbst in einer solchen Situation nicht ebenso gehandelt? Was immer man gegen diesen Ohlsen sagen konnte: Er liebte seine Frau abgöttisch.
Die Gruppe zog sich auseinander; von Roden musste auf Kapande warten, der immer noch nach Spuren suchte. Juma wollte er lieber zur Plantage zurückschicken– er hatte jetzt kein Maultier mehr und hielt sie nur auf.
» Kapande! Komm jetzt, wir müssen weiter.«
Doch Kapande hockte im Bachbett und schien mit den Fingern Linien in den feuchten Boden zu malen. » Ja, bwana. Aber wir finden die bibi nicht in Moshi. Hier ich sehe Füße mit den Zehen nach oben. Zwei Männer, drei, vier…«
Das konnte nur bedeuten, dass sich ein paar der Dschagga-Krieger von den Übrigen getrennt hatten, um das Bachbett wieder hinaufzugehen. Vermutlich waren sie zurück in ihr Dorf gelaufen.
» Weshalb denkst du, dass wir bibi Ohlsen nicht in Moshi finden, Kapande?«
» Darum, bwana!«
Er hielt von Roden die flache Hand entgegen. Darauf glänzte ein kleiner, runder Gegenstand, ein Knopf aus Perlmutt, noch feucht vom Wasser. Solche Knöpfe waren an ihrer Jacke gewesen, daran erinnerte er sich genau.
Von Roden zog scharf die Luft ein, um seinen Schrecken vor Kapande zu verbergen. Sie hatten Charlotte in ihr Dorf gebracht, das war keine gute Nachricht. Weshalb? Was hatten sie mit ihr vor?
Er zögerte, dann entschied er sich, Christian Ohlsen nicht zurückzurufen. Er würde ihnen seine beiden schwarzen Angestellten hinterherschicken; vielleicht schaffte er es bis Moshi, dann tat er klug daran, sich in die Hände des deutschen Militärarztes zu begeben. Dieses Bachbett konnte man nur zu Fuß bewältigen, was bedeutete, dass sie die Maultiere hinter sich herzerren mussten– eine kräfteraubende und zudem recht gefährliche Angelegenheit. Von Roden hatte weder eine Ahnung, mit welchem Dschagga-Stamm er es zu tun hatte, noch wusste er, was sie im Schilde führten. Das einzig Gute an der Situation war, dass Kapande sich vermutlich mit ihnen verständigen konnte, denn er hatte eine Dschagga zur Frau.
Der Schmerz hatte sie ausgehöhlt, ihr alle Kraft genommen und pulsierte jetzt wie ein giftiger, heißer Strom durch ihre Adern. Immer wieder schien eine mächtige Hand sie zu packen und durchzurütteln; sie spürte, wie ihre Zähne aufeinanderschlugen, und verkrampfte die Finger, wie um einen Halt zu finden. Doch der Schüttelfrost tat mit ihr, was er wollte; es war unmöglich, dagegen anzukämpfen.
War das der Tod? Sie war ihm nahe, konnte seine kalte Gegenwart spüren, doch seltsamerweise fürchtete sie sich nicht davor zu sterben. Es waren die Bilder, die ihr Angst machten. Die schwarzroten Maskengesichter, die sich vor ihrem Fieberblick seltsam verzerrten, in die Länge wuchsen, breite Mäuler öffneten, sie mit runden, hervorquellenden Augen anstarrten. Sie schienen mit dem peinigenden Schmerz verbunden zu sein, näherten sich ihr bedrohlich, wenn die Qual sich mehrte, wichen zurück, wenn sie ein wenig Erleichterung fand. Es half nichts, die Augen zu schließen, denn die Masken verschwanden nicht, stattdessen begannen sie zu tanzen, wandelten sich zu rotweißen Fabelwesen, bekamen Arme und Krallenfüße, und in ihren Mäulern wuchsen spitze Zähne. Sie bewegten sich in einem wilden Kreistanz immer dichter auf sie zu, berührten sie, schlugen nach ihr, rissen die Raubtiermäuler auf, und sie konnte sich nur vor ihnen retten, indem sie die Augen wieder öffnete. Ein vorübergleitender, belaubter Ast, ein Stück Himmel, ein brauner, sehniger Rücken, der sich vor ihr her bewegte– dies alles war flüchtig, und doch konnte sie sich für Sekunden daran festhalten und den Fiebergespenstern entkommen.
Auch die Geräusche halfen. Zuerst hatte sie nur ein Rauschen vernommen wie von einem großen Gewässer, doch es schien aus ihr selbst gekommen zu sein und legte sich allmählich. Sie hörte Stimmen, konnte jedoch keine Worte verstehen. Ein Schlagen und Zischen schien von einem Buschmesser herzurühren, Zweige knackten,
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