Himmel über dem Kilimandscharo
Ich bin es, Charlotte. Ich… ich bin in Tanga.«
Eine winzige Pause entstand, und sie fürchtete schon, die Verbindung sei abgerissen.
» Charlotte? Das ist ja kaum zu glauben! Sei mir herzlich gegrüßt.«
Es klang zwar immer noch ungewohnt, aber sie spürte, dass sich seine Sprechweise verändert hatte. Ja, das war George, seine gewinnende Art oder vielmehr der Charme, mit dem er weiblichen Wesen gern begegnete. Verwirrt stellte sie fest, dass plötzlich die Erinnerung an den Plytenberg in ihr aufstieg. Mein Gott– wie lange war das her!
» Ich wollte dir nur mitteilen… ich werde einige Wochen nicht auf der Plantage sein… eine Sache, die sich nicht verschieben lässt… leider… ich bin unterwegs…«
Wieso redete sie ein derart unzusammenhängendes Zeug? Es musste an diesem Holzkasten liegen, der sie von der Wand herab durch sein metallgefasstes, rundes Auge anglotzte.
» Charlotte«, sagte Georges verzerrte Stimme. » Ich weiß kaum, was ich sagen soll. Ich habe erst hier in Daressalam vom Tod deines Mannes erfahren. Zuerst wollte ich es kaum glauben. Max war ein ehrlicher und aufrichtiger Mensch, ich habe ihn geachtet, und es gibt nicht viele, von denen ich das sagen könnte. Es tut mir unendlich leid um euch beide…«
Es knackte und knirschte in der Leitung, so dass sie den blechernen Hörer dicht an ihr Ohr pressen musste, um seine Worte zu verstehen.
» Danke für dein Mitgefühl…«
» Es ist mir sehr ernst, Charlotte. Ich habe dir früher einmal etwas von dem Glück erzählt, das man fassen sollte, bevor es vorübergeht. Aber wie es scheint, ist dieses Himmelsgeschenk eine flüchtige Angelegenheit und will sich nur selten auf Dauer bei uns niederlassen. Ich weiß, dass diese Worte dich wenig trösten werden, aber ich fürchte, für den Verlust, den du erlitten hast, kann es kaum einen wirklichen Trost geben. Alles, was ich dir anbieten kann, ist meine Freundschaft. Wir kennen uns doch schon so lange, Charlotte, wir sollten einander nicht ganz aus den Augen verlieren…«
Sie war bewegt und schämte sich plötzlich, ihn so falsch eingeschätzt zu haben. Sie hätte ihm gern gesagt, wie dankbar sie für dieses Angebot war, wie sehr auch Max ihn gemocht hatte, doch sie brachte kein Wort über die Lippen. Wie offenherzig George sich über dieses technische Wunderwerk mitteilte, er redete einfach so, als stünden sie einander Auge in Auge gegenüber. Ihr selbst dagegen war es unmöglich, diesem Holzkasten ihre Gefühle anzuvertrauen.
Ihr Schweigen musste ihn verunsichert haben, denn er sprach jetzt rasch von anderen Dingen.
» Wirst du dich länger in Tanga aufhalten?«
» Ich reise heute noch weiter nach Kilwa Kivinje.«
» In den Süden? Willst du etwa deine Cousine Klara in Naliene besuchen?«
Das wusste er also auch. Er musste im Missionshaus in Daressalam nachgefragt haben.
» Ja. Sie erwartet ein Kind.«
» Klara ist schwanger? Das freut mich, ich glaube, sie hatte es sich sehnlichst gewünscht. Wann wird es so weit sein?«
» In zwei Wochen vielleicht. Oder auch früher…«
Hinter ihrem Rücken vernahm sie jetzt Männerstimmen, und als sie sich umwandte, stellte sie fest, dass zwei Askari auf ein Gespräch warteten. Es machte sie nervös.
» Ihr solltet Klara wohl besser nach Kilwa bringen«, fuhr George fort. » Bei den Schutztruppen gibt es einen Arzt.«
» Das haben wir vor…«
» Wenn es mir möglich wäre, würde ich zu euch hinunterkommen. Aber wir haben einige Fälle von Typhus, um die ich mich kümmern muss. Ich wünsche dir eine gute Reise. Ruf mich von Kilwa aus an, sobald es Neuigkeiten gibt. Ich freue mich, von euch zu hören. Und… lass uns in Verbindung bleiben…«
» Gern…«
Sie wartete noch einen Moment und lauschte in die runde Dose hinein, doch sie vernahm nur ein lautes Knacken, dann war die Leitung tot. Er musste den Hörer eingehängt haben.
Er ist einsam, dachte sie mitleidig. Er zieht von Ort zu Ort und hat gewiss viele Bekannte, aber offenbar keinen einzigen Freund. Wie schade, dass er nicht nach Kilwa fahren kann. George ist ein guter Arzt.
Zwei Stunden später saß sie im Küstendampfer neben ihrem Koffer und sah zu, wie eine junge Afrikanerin ihren Säugling stillte. Sie schob einfach das bunte Tuch, das sie um ihren Körper gewickelt hatte, ein wenig zur Seite und reichte dem Kleinen die Brust. Charlotte lehnte den Kopf gegen die Reling und dachte voller Sehnsucht an ihre kleine Tochter, von der sie sich immer weiter entfernte. Elisabeth
Weitere Kostenlose Bücher