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Himmel über dem Kilimandscharo

Himmel über dem Kilimandscharo

Titel: Himmel über dem Kilimandscharo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: bach
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man davon so wunderbar schwindelig wurde. Weiter unten lagerten einige Familien im Schatten der Bäume, bunte Tischtücher waren im Gras ausgebreitet worden, auf denen Teller mit Plätzchen oder belegten Broten, bauchige Krüge und Trinkgefäße standen.
    » Das also ist der Plytenberg«, sagte George, und Charlotte glaubte, einen leisen Spott in seiner Stimme zu bemerken. » Was für ein seltsames Gebilde– ist es vielleicht künstlich aufgeworfen?«
    » Das weiß niemand so genau«, erklärte Ettje und wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn. » In der Schule wurde uns erzählt, es sei einst ein Aussichtspunkt für die Leute aus der Festung Leerort gewesen. Vielleicht hat ja mal ein Turm dort gestanden.«
    » Und oben in der Turmkammer saß eine Prinzessin gefangen, das kenne ich schon. War es jene, die ihr Haar hinabließ, damit der Ritter daran emporklettern konnte?«, scherzte George, und die Mädchen lachten.
    » Das würde höchstens bei Charlotte gehen«, kicherte Menna. » Die hat einen Zopf, so dick und fest, da könnte sich ein ganzes Regiment dran hochziehen.«
    George richtete seine grauen Augen auf Charlotte. Er schien nicht abgeneigt, sie ein wenig zu necken, als er jedoch den bitterbösen Ausdruck in ihrer Miene bemerkte, wandte er den Blick rasch ab.
    » Lasst uns hinaufsteigen«, schlug er vor. » Sieht man den Fluss von dort oben?«
    » Klar. Wenn du dich anstrengst, kannst du bis nach England schauen.«
    Charlotte blieb zurück. Unzählige Male war sie sonntags mit der Familie an diesem Ort gewesen; sie hatte Klara hinaufgeholfen und mit ihr oben auf den Mauerresten gestanden, um nach den grauen Bändern der Flüsse Ems und Leda Ausschau zu halten, die sich bei Leerort vereinigten. Die Festung selbst, die früher einmal auf dieser Landspitze gestanden hatte, gab es nicht mehr; nur noch einige Wälle, von Gebüsch bewachsen, ragten aus der Ebene. Kleine Häuser standen jetzt dort, auf der einstigen Festungsanlage war das Dorf Leerort entstanden.
    Niemand störte sich daran, dass Charlotte nicht mitkam, und sie nahm die Chance wahr, sich ein wenig entfernt von den Ausflüglern im Schatten einer jungen Eiche ins Gras zu setzen. Aufatmend lehnte sie den Rücken gegen den Stamm, zog die Knie hoch und strich ihren Rock glatt. Wie angenehm, ein paar Minuten für sich allein zu haben, bevor die lästige Meute zurückkehrte! Sie kniff die Augen zusammen, um besser gegen die Sonne sehen zu können, und verfolgte mit spöttischem Blick, wie die anderen drüben gerade die letzten Meter überwanden. Paul war schon oben, Menna, die sich von Henrichs Hand befreit hatte, kroch lächerlicherweise auf allen vieren, George und Ettje waren erst in der Mitte des Hügels angekommen, wo sie auf Marie warteten, die unbefangen mit einer Freundin schwatzte. Charlotte stellte fest, dass George zwar dünn, aber ziemlich drahtig war, seine Bewegungen hatten eine federnde Leichtigkeit, die Paul oder Henrich wohl niemals erreichen würden.
    Die Wärme tat ihr gut, löste die Spannung in ihrem Körper und ließ eine wohlige Müdigkeit in ihr aufkommen. Sie lehnte den Kopf zurück, und es war ihr jetzt gleich, dass sich der von Klara so kunstvoll aufgesteckte Zopf in der schrundigen Rinde der Eiche verfing. Mit geschlossenen Augen gab sie sich den Geräuschen des Sommers hin. Dem auf- und abebbenden Stimmengewirr der Ausflügler, dem leisen Klirren von Tellern und Tassen, dem Summen der Fliegen, dem Flüstern der Eichenblätter über ihr. Aus dieser Grundmelodie erhoben sich hin und wieder Lachsalven oder Kindergebrüll, fröhliche oder ärgerliche Rufe, einmal vernahm sie auch das helle Sirren einer Wespe, das für kurze Zeit alle anderen Geräusche dominierte und dann in der vielstimmigen Symphonie des Sommers unterging.
    Etwas Dunkles bewegte sich dicht vor ihren geschlossenen Lidern, sie zuckte zusammen und schlug die Augen auf. George hatte mit der Hand vor ihrem Gesicht herumgewedelt, um herauszufinden, ob sie schlief.
    » Schon wieder abgestiegen?«, fragte sie und griff an ihren Hinterkopf, um den Zopf zu befreien, der in der Eichenborke festhing.
    » Weshalb bist du nicht mitgekommen?«
    Sie drehte sich zur Seite und tat, als sei sie mit ihrem Haar beschäftigt. Sie mochte es nicht, wenn er sie so durchdringend anschaute.
    » Hat mich jemand vermisst?«
    » Ich zum Beispiel.«
    Ein abschätziges Lachen war ihre Antwort. Weshalb sollte er sie wohl vermisst haben? Den ganzen Weg lang hatte er sich nicht

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