Himmel ueber Falludscha
schwarzes Loch in dem grauen, zerfurchten Gesicht. Ihre Lippen bewegten sich, aber es erklang kein Laut. Sie wies auf den Jungen, machte einen vorsichtigen Schritt, stolperte dann vor und fiel auf die Knie. Sie sah erst ihn und dann mich an. In ihren angstgeweiteten Augen lag hoffnungsloses Flehen. Ich ging fort. Fort von dem Haus, fort von der Leiche, fort von der Großmutter. Die Gebäude auf der anderen Straßenseite und die Soldaten, die sich vorsichtig daran entlangbewegten, schienen durch meine Tränen unwirklich. Es war wie ein schrecklich aus den Fugen geratener Horrorfilm ohne Ton, von dem mir nur die Bilder glasklar vor Augen standen.
Wir verbrachten den restlichen Nachmittag in Nasiriya.
Ahmed übersetzte viel. Wir sprachen mit ein paar Kindern, die sich um uns herum versammelten, auf unsere Waffen zeigten und uns zuwinkten. Manche von ihnen machten uns nach und liefen so, wie sie es bei uns zu sehen glaubten. Ich schätze, in unseren Tarnuniformen, mit den Helmen und den kugelsicheren Westen sahen wir für sie lustig aus.
Waren sie das Töten gewöhnt, dass sie so leicht darüber hinweggehen konnten? Schien ihnen das Klagen der Frau um ihren Enkel so vertraut? Es waren doch nur Kinder, um Himmels willen!
Die Kinder trugen entweder Kleider in westlichem Stil oder lange Gewänder, die ihnen bis auf die Knöchel reichten. Manche von ihnen sprachen mich auf Arabisch an. Ich zwang mich zu lächeln, aber in mir herrschte das blanke Chaos. Der Anblick des toten Jungen hatte mir Angst gemacht, genauso wie mein Davonlaufen vor ihm. Ich sah zu der kleinen Gruppe von Irakern hinüber, die sich um die Leiche versammelt hatten. Sie wickelten ihn in Tücher.
Ein paar Jungs von der Dritten kamen mit Süßigkeiten zu mir herüber und begannen, sie zu verteilen.
»Sie sind wie alle Kinder«, sagte der Soldat neben mir, ein untersetzter Sergeant mit Südstaatenakzent und reichte mir die Schachtel.
»Ja.« Ich nahm sie an.
»An das Töten gewöhnt man sich«, sagte er leise und fügte hinzu: »Bis auf nachts, wenn man nicht schlafen kann … Aber man gewöhnt sich daran.«
25. März 2003
Lieber Onkel Richie,
ich schreibe diesen Brief zwar, aber wahrscheinlich werde ich ihn nicht abschicken. Wahrscheinlich werde ich ihn nicht mal speichern. Heute habe ich einen Fremden sterben sehen. Ich habe gesehen, was ein MG anrichten kann. Ich weiß nicht, warum der Junge weglaufen wollte. Vielleicht hatte er Angst. Aber er wurde getötet und wir haben ihn am Boden liegen lassen. Zuerst war ich wirklich traurig und deprimiert. Dann habe ich versucht, es zu verdrängen. Ich habe mir gesagt, dass er wahrscheinlich einer dieser Kerle war, die uns Amerikaner töten wollen, aber das war eine Sackgasse. Es hat einfach nicht funktioniert. Man darf es nicht an sich heranlassen – das funktioniert. Es darf kein Teil von einem werden. Ich weiß, dass ich nie wieder darüber werde reden können. Ich frage mich, ob das der Grund dafür ist, dass du nie über das gesprochen hast, was in Vietnam geschehen ist.
Auf dem Weg zurück zu unserem Lager habe ich gesehen, wie Jonesys Hand gezittert hat. Sonst nichts, nur seine Hand. Ich habe überlegt, ob ich meine Hand drauflegen sollte, aber ich habe es nicht getan. Keiner von uns in der ersten Gruppe hat darüber gesprochen, was geschehen ist.
Robin
Der Sanitätswagen strahlte Geborgenheit aus, wie auch die Sanitäter, die den Civil Affairs zugeordnet waren. Sie stellten weiße Tische auf und packten Kisten mit Medizin und Material aus. Die Iraker verstanden sofort, was das zu bedeuten hatte, und gingen vorsichtig darauf zu.
»Weißt du, was es hier gibt, das wir zu Hause nicht haben?«, fragte Marla und lehnte sich gegen den Kotflügel des Humvees. Ihre Hüfte berührte meine.
»Araber?«
»Lahme«, entgegnete sie. »Die meisten von ihnen sehen gesund aus, aber man sieht eine Menge Leute mit Geburtsfehlern und Krankheiten, die man in den Staaten behandelt hätte.«
Da hatte sie recht. Es gab in Kuwait und im Irak mehr Krüppel und Blinde, als ich je zu Hause gesehen hatte. Für viele Iraker würde dies die einzige medizinische Behandlung sein, die sie je bekommen würden.
Die zwei weiblichen und zwei männlichen Sanitäter behandelten alles von Erkältungen bis zum Ausschlag. Es war seltsam. Auf der einen Seite des Platzes wuschen Leute die Stelle, wo der Junge getötet worden war, und auf der anderen Seite betrachteten sich unsere Sanitäter Geschwüre und verteilten
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