Himmel ueber fremdem Land
zu verstehen. Für mich ist es nicht leicht, einen Weg zu finden, ohne meinen Vater dazu zu reizen, dass er seine Pläne noch zügiger vorantreibt.«
»Du sagtest mir, die vorläufige Verlobung mit Fräulein van Campen gehöre zu deinem Plan. Welchem Plan?«
Auf ihre heftig ausgestoßenen Worte hin, die von einer lauten Kulisse aus rauschendem Wind und knarrenden Ästen untermalt wurden, zuckte er lediglich mit den Schultern. Er hatte mit diesem Verlobungs-Manöver Zeit gewonnen, mehr nicht; denn nun mochte ihm kein genialer Weg einfallen, wie er sich und Edith in eine bessere Position manövrieren konnte. Dementsprechend elend fühlte er sich, nicht nur der geliebten Frau gegenüber, sondern auch wegen Demy. Sie würde schließlich diejenige sein, die aus einer offiziellen Verlobung mit einer guten Partie entlassen wurde. Ein solcher Makel haftete Frauen lange an und war schwerwiegend genug, um andere potenzielle Ehemänner zu vergraulen.
Vermutlich hatte das junge Mädchen bei der Entscheidung für seinen Plan diesen Aspekt nicht als schwerwiegend empfunden, und er hatte ihre Naivität schamlos ausgenutzt. Jetzt plagte ihn das schlechte Gewissen ebenso wie die Aussichtslosigkeit seiner Liebe zu Edith.
Demy spielte seit Tagen die Kranke, um das von seinem Vater und Tilla geplante Verlobungsfest hinauszuzögern. Doch war ihm noch immer keine Lösung für die Misere eingefallen. Wäre er mit seiner Ausbildung ein Jahr weiter, würde er, wie Philippe damals, vor einer aufgedrängten Heirat in eine deutsche Kolonie flüchten und Edith später nachholen. Aber vermutlich blieb selbst das reines Wunschdenken.
Seinem Ziehbruder war schon immer wesentlich mehr Narrenfreiheit zugestanden worden als ihm. Zum einen, weil er nicht Joseph Meindorffs leiblicher Sohn war, zum anderen, weil der dickköpfige Kerl sich immer unnachgiebig durchsetzte. Aber Hannes war nicht der Typ, der Auseinandersetzungen mit seinem Vater ausfocht. Niemals zuvor hatte er es gewagt, gegen eine seiner Entscheidungen anzugehen. Was der alte Rittmeister sagte, war Gesetz.
»Hannes?« Ediths fragende Stimme ließ ihn jäh in die Gegenwart zurückkehren. Ratlos sah er sie an, wie sie da vor ihm stand: fordernd und unglücklich zugleich. Mit einer unwirschen Handbewegung vertrieb sie eine Wespe vor ihrem Gesicht. Allein diese Geste zeugte von so viel Stärke, dass Hannes förmlich in sich zusammensackte. Er fühlte sich unzulänglich und schwach, und diese Gefühle waren ihm nur zu vertraut. In der Anwesenheit seines Vaters und seines älteren Bruders empfand er häufig so.
Edith richtete sich kerzengerade auf und straffte selbstbewusst die Schultern. »Soweit ich das beurteilen kann, ist Demy van Campen ein hübsches, liebenswertes Mädchen. Sie nimmt einiges für dich in Kauf. Dein Vater hält sie für eine gute Partie, zudem kennt sie die Gepflogenheiten in euren Kreisen. Du könntest mit ihr glücklich werden.«
Hastig trat er nach vorn und ergriff sie am Unterarm. »Aber ich liebe dich , Edith. Ich möchte dich heiraten und mit dir bis zum Ende meiner Tage zusammen sein.«
»Das steht allein in deiner Macht. Weder in meiner noch in der dieses armen Mädchens, das dich vielleicht mehr liebt, als dir bewusst ist.«
Sein trockenes Auflachen klang unecht, und der Griff um ihren Arm wurde fester. »Ja, Demy liebt mich – wie eine Schwester ihren Bruder.«
»Diese Gefühle hegst du für sie. Aber weißt du, ob es sich andersherum genauso verhält? Womöglich war unser ungeschicktes Auftauchen bei diesem Lumpenfest und die daraus folgende schnelle Verlobung ein Glücksfall für sie.«
Einen Moment lang wog Hannes ihre Worte ab, bevor er entschieden den Kopf schüttelte. »Nein, Edith. Sie empfindet nicht auf diese Weise für mich. Und Philippe hat sogar den Verdacht eingebracht, Demy sei längst noch keine sechzehn Jahre alt, wie sie uns glauben macht. Er schätzt sie auf gut drei Jahre jünger.«
Nun war es an Edith, freudlos aufzulachen und sich endgültig seinem Griff zu entziehen. »Das glaubst du doch nicht wirklich, Hannes Meindorff! Ihre Schwester würde wohl kaum einer Vermählung zwischen dir und Demy zustimmen, wäre sie …«
»Aber Tilla hat bei meinem Vater eine lange Verlobungszeit erbeten. Vielleicht weil sie beim Alter ihrer Schwester geschummelt hat?«
»Sie hat was?« Ediths Stimme wurde so laut, dass Hannes erschrocken zu den rötlichen Mauern der Hauptkadettenanstalt hinüberschaute. Er hatte sich heimlich davongestohlen und
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