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Himmel ueber fremdem Land

Himmel ueber fremdem Land

Titel: Himmel ueber fremdem Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Buechle
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Spree. Gewaltige Wolkenberge zogen über den Himmel und ließen Mond und Sternen nur gelegentlich die Chance zu einem Aufblinken. Vom nahen Park klang der tiefe, einsame Ruf eines Kauzes herüber.
    Demys Hände klammerten sich um zwei Eisenstangen des Brückengeländers, als habe sie Angst davor, von den Fluten erfasst zu werden. Über das entfernte Geräusch einer vorbeirollenden Kutsche hinweg vernahm sie eilige Schritte, deren Echo vom Granit der Häuser, Mauern, Brücken und Säulen widerhallte.
    »Hier bist du!« Lieselotte verlangsamte ihre Schritte, stellte sich neben sie an die Brüstung und ergriff sie am Arm. Fürchtete ihre Freundin, sie würde von der Brücke springen?
    »Diese Julia Romeike …?«, stieß Demy aus und schnappte nach Luft.
    Lieselotte lachte hell auf. »Was hattest du gedacht, womit sie ihren Lebensunterhalt verdient, Kleine?«
    »Hör mal, ich bin ja nicht dumm. Dass eine Frau von solcher Schönheit und mit so modischer, wertvoller Garderobe eigentlich gar nicht in das Scheunenviertel passt, war mir auch klar.«
    »Man munkelt, sie unterhalte schon lange eine andere Wohnung in einer guten Wohngegend. Ich vermute jedoch, viele ihrer Freier bevorzugen die Anonymität dieser Hinterhofwohnung.«
    »Das scheint mir auch so!« Wütend trat Demy mit dem linken Stiefel gegen die ineinanderverschlungenen Stäbe der Eisenbrüstung.
    »Du kennst den Mann, von dem Julia an der Tür beinahe aufgefressen wurde? Einer deiner Freunde aus den gutsituierten Familien? Magst du ihn vielleicht selbst ein bisschen?« Lieselotte lachte noch immer. Offenbar entging dem Mädchen völlig, wie aufgewühlt Demy war.
    »Nein, Lieselotte, ich mag ihn nicht. Kein bisschen. Er ist mir zutiefst unsympathisch. Er ist überheblich, er ist großspurig … und er ist Joseph Meindorff!«
    Lieselottes Lachen ging in ein ersticktes Husten über. Als sie wieder in der Lage war zu sprechen, murmelte sie: »Da hat die Julia sich aber einen dicken Fisch an Land gezogen! Joseph Meindorff der Jüngere! Meine Güte!«
    »Dicker Fisch …? Lieselotte, du bewunderst die Frau doch nicht etwa für ihr Tun? Er ist der Ehemann meiner Schwester!«
    Lieselotte musterte die aufgebrachte Demy einen Moment lang und stemmte dann ihre kräftigen Hände in die Hüfte. »Hör mir mal gut zu, kleine Demy van Campen.« Lieselotte kam mit ihrem Gesicht nah an Demys, damit sie gegen das Brausen des Windes und des Wassers nicht anschreien musste. »Julia ist eine Waise. Sie wurde durch verschiedene Einrichtungen geschleust, bis sie genug davon hatte, dass irgendwelche geilen Aufseher sie begrabschten. Sie hat sich eine Existenz aufgebaut und überlebt, und das nicht einmal schlecht. Nicht jeder wird in einem feinen Haus geboren und heiratet dann einen Mann, der an einem Tag mehr Geld für sein Vergnügen ausgibt, als andere im Jahr verdienen. Und sei doch einmal ehrlich: Wenn Meindorff sich so kurz nach der Eheschließung mit Julia vergnügt, bedeutet das entweder, die beiden waren schon vorher zusammen und haben ihre Liebschaft beibehalten, oder seine Frau stellt sich im Bett ungeschickt an. Vielleicht kann sie einem Mann nicht das geben, was er braucht?«
    Demy, deren Atem und Herzschlag sich inzwischen wieder beruhigt hatten, kräuselte ihre Nase und verschränkte ihre Arme abwehrend vor ihrer Brust. »Was fällt dir ein …«
    »Ach? Darf ich so nicht über die hochwohlgeborenen Meindorffs reden? Steht das dem zerlumpten, dummen Arbeitermädchen aus dem Hinterhof nicht zu?«
    »Du bist kein zerlumptes, dummes Arbeitermädchen. Du bist meine Freundin. Aber Tilla hat es nicht verdient, dass so über sie geurteilt wird. Würde es dir gefallen, wenn ich in so hässlicher Form über deine Brüder sprechen würde?«
    Lieselotte musterte sie noch intensiver als zuvor, nickte dann aber. »Du hast recht. Das war gemein von mir. Und du bist zu Recht erschrocken darüber, deinen Schwager mit einer Prostituierten zu sehen.«
    »Ich fühle mich grauenvoll. Was mache ich jetzt nur?«
    »Hör mal, Demy. Ich möchte nur, dass du Julia nicht verurteilst. Sieh her.«
    Folgsam hob Demy den Kopf und folgte mit den Augen Lieselottes ausgestrecktem Arm, mit dem sie an den erhabenen Bauten vorbei in Richtung Scheunenviertel zeigte, das direkt hinter diesem Straßenzug begann. Dunkel lag es vor ihnen; eine Ansammlung von primitiven Häusern, hastig errichteten Notbaracken und heruntergekommenen Unterkünften mit ineinander übergehenden Hinterhöfen. Durch sie hindurch

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