Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Himmel über London

Himmel über London

Titel: Himmel über London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nesser
Vom Netzwerk:
seid also zurück?«
    »Ein Teil«, sagte Nisse Hallgren und zündete sich ein duftendes kleines Stäbchen an, das er hinter dem Ohr getragen hatte. »Du hättest dabei sein sollen.«
    Lars Gustav antwortete nicht. Zwei sich widerstreitende Impulse fuhren ihm durch den Kopf. Der eine: Nisse Hallgren eins aufs Maul zu hauen. Der andere: anzufangen zu heulen.
    Er tat nichts davon. »Ein Teil?«, fragte er.
    »Exactly«, nickte Nisse Hallgren. »Vaffan, Leo und Carla sind geblieben. Die haben es richtig hingekriegt. Sie jobben in einem Pub in Soho, es hat einfach geklappt. Scheiße, du hättest dabei sein sollen, wirklich.«
    »Ja, tschau«, sagte Lars Gustav, drehte sich auf den Hacken um und ließ einen leicht verwunderten Nisse Hallgren mit seinem schwelenden Stäbchen vor der Würstchenbude stehen. Es interessierte ihn nicht, dass er fast von einem Auto überfahren worden wäre, als er die Tennisgatan überquerte. Ihn interessierte überhaupt nichts mehr auf der Welt.
    Irgendwie gelang es ihm, in den Gökvägen zu kommen. Irgendwie gelang es ihm, die Tante davon zu überzeugen, dass er keinen Abendtee haben wollte, irgendwie gelang es ihm, die Treppe hinaufzugehen, sein Zimmer zu finden und die Tür hinter sich zu schließen.
    Dann lag er lang ausgestreckt auf seinem Bett und starrte auf einen wohlbekannten feuchten Fleck oben an der Decke, er war fast das perfekte Abbild der Insel Sansibar vor Afrikas Ostküste, das hatte er bereits in der fünften Klasse mit Hilfe seines Schulatlas festgestellt, und das machte ihm an diesem Abend ebenso wenig Freude, wie es das an allen anderen getan hatte. Doch es unterstrich auf sehr illustrative Art und Weise die Nichtigkeit aller Dinge. Allen Strebens und jeglicher Hoffnung. Ich glaube an die Sinnlosigkeit des Ganzen und an den unbeabsichtigten Sinn der Details , wer hatte das gesagt? Dagerman? Lars Gustav Selén glaubte nicht einmal an die Details. Er würde nie nach Sansibar kommen. Er war nicht einmal nach London gekommen. Er würde nie irgendwohin kommen. Der Frühsommer, die Erwartungen und seine Hände auf Carla Carlgrens jungfräulicher Brust, all das war nur der reinste Hohn gewesen. Ein böswilliger, typischer Einblick, damit er begriff, was ihm für den Rest seines Lebens verloren ging.
    Diese finsteren Gedanken beschäftigten ihn an diesem Augustabend nach seiner Begegnung mit Nisse Hallgren vor Balders Würstchenbude, und ab und zu, sehr oft im Laufe der späteren Jahre, würde er sich an sie erinnern und darüber nachsinnen, wie genau es doch eingetroffen war. Zu begreifen, was einem verloren gegangen war. Viele Jahre zuvor war ein Film gelaufen, im Sagakino in K. und auch sonst im Land, er hieß Sie tanzte nur einen Sommer ; er hatte ihn nicht gesehen, doch den Titel, den hatte er verstanden. Lars Gustav Selén hatte keinen Sommer getanzt, doch einen Frühsommer lang in seiner Jugend hatte er sich eingebildet, dass er lebte.
    Am 1. Oktober ging er zum Militär. Er tat sich nicht hervor, gehorchte den Befehlen, tat seinen Dienst an der Waffe und fand keine neuen Kameraden. Am Wochenende fuhr er heim nach K. oder – vereinzelte Male – nach Håverud. Er hörte nichts von Carla Carlgren oder von sonst einem der Londonfahrer. In der Kaserne des Regiments gab es eine kleine Bibliothek, und eines Abends in November schlug er im siebten Band des Nordischen Familienbuches, Russland bis Snellius, Scharlachfieber nach:
    (lat. Scarlatina), eine der häufigsten ansteckenden »Kinderkrankheiten«. S. trifft normalerweise Kinder nach dem ersten Lebensjahr, doch in einem Epidemiekrankenhaus rechnet man im Allgemeinen mit ca. 20 % Erwachsenen unter den Scharlachpatienten. S. ist in höchstem Grade ansteckend (auch über Gegenstände), und Ansteckung kann sowohl durch den Speichel als auch durch den Ausschlag geschehen, der der Krankheit den Namen gegeben hat. Wahrscheinlich gibt es Bazillenträger; überstandene Abschuppung nach dem Ausschlag wird als erste Voraussetzung angesehen, um den Kranken aus der Isolierung zu entlassen, die durch die große Ansteckungsgefahr immer nötig ist. Nach einer Inkubationszeit von 1–4 Tagen zeigt sich die Erkrankung normalerweise plötzlich mit starken Allgemeinsymptomen, Fieber und Halsschmerzen, die später oft an Diphtherie erinnern. Die Halslymphknoten können stark angeschwollen sein. Innerhalb eines Tages zeigt sich normalerweise ein allmählich zusammenhängender, feingepunkteter Hautausschlag, der an Brust und Rücken anfängt, sich

Weitere Kostenlose Bücher