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Himmel über London

Himmel über London

Titel: Himmel über London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nesser
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paar Monate später zog sie wieder aus. In ein anderes Mietshaus, etwas weiter weg von dem windigen Acker am östlichen Rand von K., er sah sie noch ab und zu im Einkaufszentrum, doch sie grüßten einander nicht mehr.
    Es gab überhaupt nicht viele, mit denen er Worte wechselte. Mit seinem Bruder sprach er ungefähr einmal im Monat am Telefon, es war immer Sven Martin, der anrief, und es waren immer seine Dinge, über die sie sprachen. Eine bevorstehende Autoreparatur, die Auftragseingänge in der Tischlerei, die Kinder und die neue Schlankheitskur seiner Frau.
    Die weggelaufene Mutter der beiden Brüder war Mitte der Neunziger gestorben, eines der Halbgeschwister schickte zu Weihnachten immer eine Karte, ein anderes war nach Australien ausgewandert, von ihm hatte man seit fünfundzwanzig Jahren nichts mehr gehört, und was die dritte eigentlich machte, davon hatte weder Sven Martin noch Lars Gustav auch nur die geringste Ahnung. Sie nahmen an, dass sie in Norrköping wohnte und von einem Ingenieur geschieden war, das war der Lauf der Zeit.
    Zur Mittsommerzeit 2010 las Lars Gustav in der Zeitung, dass Madeleine Wilder, seine Therapeutin nach dem Selbstmordversuch 1973, von uns gegangen sei. In der Todesanzeige stand kurz und knapp, dass ihr Ehemann, ihre Kinder und Enkelkinder um sie trauerten, und als Lars Gustav Selén am Küchentisch saß und das las, war ihm, als würde sich eine kalte Hand um sein Herz schließen. Der einzige Mensch, der jemals die Tür zu seiner inneren Landschaft auch nur einen Spalt weit hatte öffnen können, war nicht mehr, und plötzlich spürte er, dass auch seine eigenen Tage möglicherweise gezählt waren. Es war höchste Zeit, den Londonroman in den sicheren Hafen zu lenken. Schwarze Kotze und alles andere Geschriebene musste zurückstehen.
    Eines Vormittags Ende Juli betrat er das Reisebüro Larssons Travels in der Västra Drottninggatan und buchte eine Reise. Leben heißt handeln.
    Woher kam denn nun wieder dieser Spruch?

III.

45

Gregorius
    T u nnelblick.
    Er war schon früher auf diesen Begriff gestoßen, natürlich, aber es war das erste Mal, dass er so etwas erlebte. Und das vermutlich in seiner vollendeten Form, denn es war wirklich die Rede von einem Tunnel. Einem langen, engen Gang, in dem alle Empfindungen – der kalte Regen, der Rausch, der Wind, die Kopfschmerzen, die Stadt, die plitschnassen Straßen, die bedrückenden Gebäudekomplexe – wie ein dumpfes, langsam rotierendes Dunkel um ihn und diesen verfluchten Hund schwebten, aber wenn er geradeaus schaute und sich so sehr konzentrierte, wie es ihm nur möglich war, dann sah er alles ganz deutlich. Einen kleinen klaren Kreis mitten in diesem elenden, boshaften Schwarz, es erinnerte ihn fast an den Kegel einer Taschenlampe, ein Fokus, ein Fixstern, dem er widerstandslos folgte.
    Was sollte er anderes auch tun? Es war irgendwann mitten in der Nacht oder wahnsinnig früh am Morgen, und der Hund folgte ihm ohne jedes Widerstreben. Dem Fixstern wie auch ihm, so schien es, dicht auf den Fersen. Und so musste es sein, sie mussten in Bewegung bleiben, wenn sie stehen blieben oder sich setzten, dann würden sie in den Windböen und den peitschenden Wasserkaskaden bald erfrieren. Einige verwirrende Sekunden lang hatte Gregorius das Gefühl, das wäre bereits geschehen, er wäre tot und auf dem Weg hinunter in die Unterwelt. Und Fingal, ja, so hieß dieser Köter ja, das fiel ihm wieder ein, er war natürlich der vielbeschriebene Höllenhund. Nur dass er seinen Auftrag missverstanden hatte, er trottete mit schlechter Laune, mieser Haltung und hängendem Schwanz hinterher, statt voranzugehen und ihm den Weg zu zeigen.
    Und auch wenn sie trotz allem noch am Leben waren, er und auch Fingal Eckzahn, so war es doch eine Höllenwanderung, die sie hier absolvierten, daran ließ sich nicht deuteln. Er hatte nur diffuse Erinnerungen an das, was am vergangenen Abend passiert war. Eine langbeinige junge Frau namens Paula hatte ihn mit dem Hund zurückgelassen, es hatte irgendetwas mit Irland zu tun. Dann war noch etwas anderes in dieser Wohnung in der Straße, wie immer sie auch heißen mochte, passiert, es war Whisky im Spiel gewesen und vielleicht eine Bombe, es war ihm in letzter Sekunde gelungen, sich zu retten, und jetzt trieb er sich auf den menschenleeren Gassen der Großstadt gemeinsam mit einem großen, tropfnassen und missmutigen Schäferhund herum. That’s life. Sein Handy war kaputtgegangen, daran erinnerte er sich auch noch,

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