Himmel über London
was sonst noch passiert war, konnte er nicht sagen.
Was den gestrigen Abend betraf. Es war ihm absolut klar, dass er sich in London befand und auch warum; Leonards bevorstehendes Geburtstagsessen und noch so manches andere – und ihm fielen unscharf seine Pläne ein, die Identität zu ändern, um nicht zurückfahren zu müssen und mit den Perhovens konfrontiert zu werden, der schwangeren Sylvia und dem bedrohlichen Eric, der mit hundertprozentiger Sicherheit bereit war, ihn zu zermalmen, sobald alles ans Tageslicht kam. Lieber hier in England zu bleiben, das war ein deutlich besserer Plan, mit einem Millionenerbe und einem neuen Namen … wie war der noch gewesen? … ja, genau, Kerran war es, Paul F. Kerran.
Ja, das wäre eine gute Idee, das begriff er selbst jetzt in seinem miserablen Zustand, aber momentan bot sie nicht viel Trost. Wenn er mit diesem blöden Köter nicht bald irgendwo unterkam, würden sie beide erfrieren, das spürte er mit jeder Minute, die verging, immer deutlicher. Es nützte nichts, so große Schritte wie möglich zu tun, Wärme und Lebensmut schienen zu versiegen, aus Körper und Seele herauszusickern. Den Namen des Hotels, zu dem er hoffentlich auf dem Weg war, hatte er noch parat – das Rembrandt –, doch wo es gelegen war und wo er sich selbst in dieser trübsinnigen Stunde in dieser trübsinnigen Großstadt befand, das stand in den Sternen.
Da es jedoch in dieser Unwetternacht keine Sterne am Himmel gab, musste er dem Licht im Tunnel folgen. Das war logisch, und an dieser Überlegung war nichts auszusetzen. Und wenn er nur den Fluss erreichte, bevor alles Leben aus ihm entwichen war, oder er etwas entdecken konnte, was vielleicht den Hyde Park oder den Trafalgar Square darstellen konnte oder irgendeinen anderen Anhaltspunkt, würde er es schaffen. Es gab immer noch eine, wenn auch schwindende, Hoffnung und einen Plan.
Doch zunächst war er gezwungen, in einer Einfahrt stehen zu bleiben und sich zu übergeben, es schoss aus dem Magen die Speiseröhre hinauf, und man sollte die Signale des Körpers nicht ignorieren. Allgemein nicht und erst recht nicht in einer Lage wie dieser.
Es dauerte eine Weile, und das Licht im Tunnel erlosch temporär. Als das überstanden war, schnupperte Fingal eine Weile an dem Erbrochenen, für einen Moment sah es so aus, als wollte er es auffressen, doch offensichtlich entsprach es nicht seinem Geschmack. Stattdessen schüttelte er das Regenwasser aus seinem Fell und schaute sein neugewonnenes Herrchen auffordernd an.
»Scheiße, was ist?«, brummte Gregorius Miller alias Paul F. Kerran. »Gib mir nicht die Schuld.«
Es wurde wieder etwas klarer im Tunnel. Er wusch sich das Gesicht so gut es ging mit einigen Händen Regenwasser und schaute auf die Uhr.
Viertel nach vier.
Nicht ein Mensch zu sehen.
Nicht das geringste Anzeichen von Morgendämmerung. Der Regen fiel dicht wie ein Wasserfall.
Doch die Straße, auf der sie sich befanden, war ein wenig abschüssig. Vielleicht waren sie ja auf dem Weg hinunter zur Themse?
Eine lange halbe Stunde später befanden sie sich vor dem Rembrandt . Danke, gütiger Gott, dachte Gregorius. Danke, dass du die Deinen beschützt. Er warf Fingal einen strengen Blick zu und erklärte ihm, er müsse sich jetzt ordentlich aufführen, dann drückte er auf die Nachtklingel, und die Glastüren glitten lautlos auf.
Der einsame Mann an der Rezeption war klein und schwarz gekleidet. Er schien drei Augenbrauen zu haben, doch die dritte erwies sich bei näherer Musterung als ein Schnurrbart. Er ließ ein leises Räuspern vernehmen, als er Gregorius und Fingal erblickte.
»Tut mir leid, mein Herr. Keine Hunde.«
»Ich bin Gast hier«, sagte Gregorius. »Nummer dreihunderteinundzwanzig.«
Er bemerkte selbst, dass die Worte leider nicht so klangen, wie er es sich gedacht hatte. Vor allem die Konsonanten nicht, sie schienen vom Regen verwaschen worden zu sein.
»Entschuldigung, ich habe den Namen nicht verstanden«, sagte der Mann am Empfang.
Gregorius hätte fast schon Kerran gesagt, konnte sich aber gerade noch zurückhalten.
»Miller. Gregorius Miller. Dreihunderteinundzwanzig.«
Der Rezeptionist schaute auf seinem Computerschirm nach, während er leicht alle Augenbrauen hob. Dann nickte er und versuchte seine schlechte Laune zu verbergen.
»Sie hätten einen Regenschirm mitnehmen sollen«, sagte er. »Aber Hunde sind nicht zugelassen. Tut mir leid.«
»Aber ich wohne doch hier«, wiederholte Gregorius, da ihm nichts
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