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Himmel über London

Himmel über London

Titel: Himmel über London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nesser
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und nicht mehr nur jede zweite. Ein neuer Friseur mit Namen Pettersson etablierte sich schnell. Zwei Jahre später war Adamsson tot.
    So beendete Onkel Gudmar seine Erzählung, er schmückte sie nie irgendwie aus und versuchte auch nie, eine Art Moral anzufügen, trotzdem dachte ich immer wieder über sie nach. Es war mir auch gelungen, die Todeszahlen für den betreffenden Ort herauszufinden und dass es tatsächlich dort zwischen 1905 und 1920 einen Barbier namens Adamsson gegeben hatte.
    Aber wie dachten nun diese Kunden, die ihn im Stich ließen, das ist die Frage. Was glaubten sie eigentlich? Ich habe darüber schon früher in meinen Aufzeichnungen geschrieben, habe aber das Bedürfnis, das Thema noch einmal aufzugreifen – und wenn nur, um zu illustrieren, wie leicht es ist, zwischen Wahrheit und Lüge hin- und herzuschwanken, zwischen Fiktion und Wirklichkeit. Auch wenn wir glauben und darauf bestehen, dass wir mit beiden Füßen fest verwurzelt auf der richtigen Seite der Grenze stehen.
    Es ist ein sonniger Vormittag in Westbourne Grove. Ich sitze an einem Cafétisch und schreibe das hier auf. Morgen ist der Tag, an dem meine ersten Akteure am Bahnhof Paddington eintreffen werden. Ich werde an einem anderen Cafétisch sitzen und sie beobachten.
    Solange er im Queen’s Hotel in Knightsbridge gewohnt hatte, hatte Lars Gustav Selén sich nicht die Mühe gemacht, seine drei magischen Gegenstände aus der Reisetasche auszupacken, doch jetzt im Lords tat er das.
    Das Foto. Den Zeitungsausschnitt. Die rückwärtslaufende Uhr. Über dem winzigen Schreibtisch in seinem Zimmer gab es eine Fensterbank, und genau wie daheim in K. platzierte er alles dort. Der Blick aus dem Fenster bestand zu Dreivierteln aus Grün, zu einem Viertel aus Himmel. Ein paar Mal versuchte er seine übliche Konzentrationsübung durchzuführen, bevor er sich der abendlichen Schreibarbeit widmete, doch seine Utensilien schenkten ihm nicht die Hilfe, die er erwartet hatte. Er nahm an, dass es an der veränderten Situation lag, der große Schritt und die große Stadt, und als er versuchte, mit Carla auf dem Foto einen Blickkontakt herzustellen, hatte er fast das Gefühl, als wiche sie seinem Blick aus. Er wusste nicht, ob es daran lag, dass er mit höchster Wahrscheinlichkeit diesen Pub in Soho gefunden hatte, in dem sie gearbeitet und über dem sie gewohnt hatte – er hatte dort eine halbe Stunde mit einem Pint Bier verbracht –, aber vielleicht gab es da ja einen Zusammenhang. Den Zeitungstext kannte er sowieso in- und auswendig, der brachte nichts in ihm in Bewegung. Was die rückwärtslaufende Uhr anging, so war sie eines Morgens stehen geblieben, obwohl er wusste, dass er sie aufgezogen hatte, bevor er einschlief, genau wie er es immer tat, auch im Queen’s Hotel . Als er sie schüttelte, fing sie wieder an zu ticken, die Zeiger begannen mit ihrer langsamen Rückwärtswanderung über das Zifferblatt, aber er ahnte trotzdem, dass dieses Objekt seine Bedeutung und Ausstrahlung verlor. Es hatte einfach seinen Dienst erfüllt. Inwieweit das gut oder schlecht war, das konnte er nicht sagen, aber er ließ sie trotzdem auf dem Fensterbrett liegen, und wenn nur aus Gründen der Dekoration.
    Nach drei Wochen in der großen Stadt war er seinen dicken Roman von der ersten bis zur letzten Seite durchgegangen, nun ja, nicht die allerletzten Seiten, das war natürlich nicht möglich. Aber so weit, wie er gediehen war; er hatte alle notwendigen Korrekturen gemacht, und da man nun an dem Tag angelangt war, an dem drei neue Akteure auf dem Spielfeld eintreffen sollten, fand er, dass ihm die Synchronisierung doch gut gelungen war. Während er in einem kleinen Café an der Hereford Road frühstückte, konstatierte er, dass ab jetzt alles in das, was manchmal zu Unrecht als Realzeit benannt wurde, wechselte. Außerdem spürte er eine hohe Nervenanspannung, es war an der Zeit, den ersten physischen Kontakt aufzunehmen – die psychische Seite erforderte natürlich bei weitem nicht die gleiche vorsichtige Behandlung –, und in den letzten Tagen hatte er seinen Plan ganz genau skizziert.
    Sie fand die Brieftasche. Von seinem Aussichtspunkt auf der gegenüberliegenden Ecke Gloucester Road und Cornwall Gardens aus, geschützt von einer klassischen roten Telefonzelle, beobachtete er sie und seufzte vor Erleichterung, als sie die Beute aufhob. Er hatte natürlich gewusst, dass sie es tun würde, und es war natürlich nicht seine richtige Brieftasche, nur eine

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