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Himmel über London

Himmel über London

Titel: Himmel über London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nesser
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diesen Schnitzer zu korrigieren. Alle Antworten auf alle unangenehmen Fragen und alle Zweifel, die ihn plötzlich ansprangen wie Ägyptens Grashüpfer oder Kröten oder was auch immer – die Antwort auf die Frage, wohin seine verschwundenen Figuren gegangen waren beispielsweise –, fanden sich natürlich in den Texten; wenn nicht im Computer, dann in den handgeschriebenen Aufzeichnungen. Dort und vielleicht nirgendwo sonst, und wenn man sich damit so intensiv beschäftigte, wie es überhaupt nur möglich war, dann konnte er die verlorene Verbindung wiederherstellen. Verborgen in dieser destillierten, fabulierten Wirklichkeit fand sich auch der Name des verfluchten Taxiunternehmens, das die drei Personen vom Rembrandt zu einem Restaurant in der Great Portland Street in Marylebone hatte bringen sollen, das aber, statt diesen einfachen Auftrag auszuführen, irgendwo ganz woanders hingefahren war – und auch wenn dieser Name sich irgendwo in seinen Unterlagen archiviert befinden musste, so war es doch nicht in Stein gemeißelt und unter den jetzigen, ihn bedrängenden Umständen unmöglich, ihn herauszufinden. Er erinnerte sich nicht. Verfluchter Mist.
    Zehn Minuten später war er auf dem Weg die Park Lane hinauf, halb laufend in der Dämmerung, den dunklen Park dicht an seiner linken Seite und deutlich von neuer Hoffnung erfüllt. Diese Geburtstagsfeier würde ja nicht in einem Handumdrehen beendet sein, Lars Gustav Selén war immer noch im Rennen, und es gab hoffentlich niemanden, der sich auch nur eine Sekunde lang etwas anderes eingebildet hatte?
    Vielleicht hätte er versuchen sollen, sich ein Taxi heranzuwinken, aber er hatte genug von all dem Stillsitzen, und wenn er in einem Taxi gesessen hätte, dann hätte er nie dieses junge Paar an der Ecke Edgware Road und Sussex Gardens gesehen – nie Carla erblickt –, und das Geschehen hätte eine ganz andere Richtung genommen.
    Doch da alternative Handlungsabläufe nicht miteinbezogen werden, wie schon früher entschieden worden war, kam es, wie es kommen musste. Entweder weil es einfach so ablaufen sollte oder weil ein freier Wille oder mehrere sich dafür entschieden, dass es so war. Die Erzählung lenkt den Erzähler.

68

    D er Gang Nummer zwei im Terracotta Restaurant in Richmond bestand an diesem milden Septemberabend aus einer einfachen, aber schmackhaften Suppe aus Muscheln, Dor schwangen und Schnittlauch. Die gesamte Gesellschaft aß schweigend; Maud konnte deutlich spüren, wie eine Stimmung abwartenden Misstrauens über dem Tisch ruhte. Sie nahm an, dass es an dem plötzlich aufgetauchten bandagierten Fremden lag, dass er die Hauptursache dafür war – aber es war ja schon anstrengend gewesen, bevor er aufgetaucht war, das musste im Namen der Ehrlichkeit zugegeben werden.
    Nachdem sie die Hälfte ihrer Suppe verzehrt hatte, machte sie eine Pause, wandte sich Mr. Prendergast zu und fragte, ob in den letzten Wochen nicht außergewöhnlich gutes Wetter in London gewesen sei – abgesehen von der Sintflut und dem Gewitter in der letzten Nacht natürlich –, aber Mr. Prendergast hörte schlecht und glaubte, sie fragte nach der Qualität der Ledermöbel im Lokal. Er wischte sich sorgfältig mit der Serviette die Mundwinkel ab, schob seine Augenklappe zurecht und antwortete in einem gedämpften Tonfall, dass sie vermutlich vollkommen Recht mit ihrer Beobachtung habe. Leder sei nun einmal Leder.
    Was nicht zu weiterer Konversation einlud, zumindest nicht in dieser Richtung. Maud widmete sich wieder ihrer Suppe, wobei sie verstohlen die Übrigen am Tisch musterte. Der Fremde, wer immer es sein mochte, schien nicht besonders davon beeindruckt zu sein, sich in einer unbekannten Gesellschaft zu befinden, wie sie registrierte. Ja, genau genommen schien er der Einzige zu sein, der mit der Situation zufrieden war, wobei sie schwer verstehen konnte, wieso. Er sah eigentlich in erster Linie überrascht und etwas erwartungsvoll aus, und sie fragte sich, wer er wohl war. Das taten ihre Kinder auch, das war mehr als offensichtlich. Irina sah fast erschrocken aus, und Gregorius hatte ein tiefes V zwischen den Augenbrauen. Das war ungewöhnlich; sie vermutete, dass es ein Zeichen dafür war, dass er intensiv über etwas nachdachte, was normalerweise nicht der Fall war.
    Aber was machte dieser Fremde hier? Milos Skrupka? Allein der Name war merkwürdig. Und warum trug er diesen sonderbaren Verband? Er hatte erklärt, dass er überfallen worden war, aber niemand hatte nach

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