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Himmel über London

Himmel über London

Titel: Himmel über London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nesser
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zurück bin. Er muss natürlich heute Abend noch mal raus. Ich mache immer eine Runde in Lincoln’s Inn Fields, das liegt nur ein paar Straßen von hier entfernt. Aber achte darauf, dass er an der Leine bleibt, er kriegt schnell Probleme mit anderen Rüden.«
    »Verstanden«, sagte Gregorius.
    »Leine und Kotbeutel hängen im Flur. Ja, dann mache ich mich auf den Weg, ich bin ja so unendlich dankbar, dass du dich zur Verfügung stellst, jetzt, wo Mama …«
    Ihre Unterlippe zitterte, und wieder schossen ihr Tränen in die Aquariumaugen. Allein seine große Selbstbeherrschung und Fingals gelblicher Blick hinderten ihn daran, aus dem Sofa zu springen und sie in die Arme zu schließen.
    »Meine Handynummer liegt auf dem Küchentisch. Du kannst vom Schlafzimmer aus anrufen, ich nehme an … ich nehme an, dass deins nicht mehr funktioniert.«
    »In der Stunde der Not erweisen sich die wahren Freunde«, sagte er.
    »Äh … jaha?«, sagte Paula.
    Ich liebe dich, dachte er, als sie ihm vom Flur aus noch einmal zuwinkte. Sieh zu, dass du mit einer frühen Morgenmaschine aus Dublin zurückkommst, dann werde ich noch im Bett liegen und auf dich warten. Du bist die Frau meines Lebens.
    Doch als die Tür hinter ihr zugeschlagen war und das Echo ihrer Schritte im Treppenhaus verklungen, überkam ihn ein Gefühl der Finsternis. Was unvermeidbar gewesen war. Spaziergang?, dachte er. Kotbeutel? Sollte das wirklich nötig sein?
    Und wieso bist du eigentlich hier?, fuhr sein naseweises Gehirn fort, ohne dass er es darum gebeten hatte. Paul F. Kerran? In einem durchgesessenen Cordsofa in einem unordentlichen und nach Rauch stinkenden Wohnzimmer mit einer dreibeinigen Rokokokommode in … er hatte den Namen der Straße bereits vergessen … zusammen mit Studienrat Eckzahn in der Gestalt eines fünfzig Kilo schweren, sabbernden Schäferhundes.
    Ja, warum? Er musste zugeben, diese Frage war berechtigt. Aber gleichzeitig stand ihm auch klar vor Augen, dass er noch ein paar Biere brauchte, und eigentlich drückte da der Schuh. Die Lebensfreude sank im Takt mit dem Alkoholpegel in seinem Blut, so war es nun einmal – aber es musste doch wohl möglich sein, die eine oder andere Dose in der erwähnten Speisekammer zu finden? Nicht nur Hundefutter. Schließlich war Paula ja eine Irin.
    »Entschuldige, Fingal«, sagte er und schälte sich vorsichtig aus seiner Sofaecke. »Ich muss nur mal pissen. Bin gleich zurück.«
    Fingal knurrte.
    Fünf Stunden später befand er sich immer noch auf demselben Sofa, in tiefem Schlaf versunken. Paulas Speisekammer war bedauerlicherweise frei von Bier, dafür hatte er aber eine halbvolle Flasche Baileys und eine noch ungeöffnete mit Jameson Irish Wiskey gefunden. Er hatte das süße Zeug stehen lassen und sich auf den Whisky konzentriert. Hatte vier oder fünf Gläser getrunken, vielleicht auch sechs, aber ziemlich kleine und etwas verdünnt – während er einige Klatschzeitschriften durchblätterte, ohne Erfolg versuchte, sein Telefon wieder zusammenzusetzen, ein dreiteiliges Kreuzworträtsel löste, sich durch eine Anzahl verschiedener Dokusoaps auf dem grobkörnigen Fernseher zappte, Fingal zwei Schaufeln Futter gab und mit ihm ausmachte, doch auf den Abendspaziergang zu verzichten. Wind und Regen hatten nämlich eingesetzt, es trommelte vernehmlich auf die Fensterbank und irgendwo auf der Straße auf ein Blechdach, und das war kein Wetter, in dem Mensch oder Hund vor die Tür gehen mochten. Auch für einen wiederauferstandenen Gymnasiallehrer nicht. Wenn Fingal später in der Nacht noch einmal eine Runde drehen wollte, musste er das sagen. Gentlemen’s Agreement.
    Doch im Augenblick, während die Uhr gerade die Zehn überschritt, am Abend des 24. September im Jahre des Herrn 2010, und sich der kurze Regenschauer, um den es sich ehrlich gesagt gehandelt hatte, bereits seit langer Zeit auf die Nordsee verzogen hatte, lagen sie also beide wohlig schlafend da. Schnarchend und leicht rasselnd jeder in seiner Ecke des Cordsofas in die Kissen gekuschelt, und auch wenn Fingal aus instinktiven Gründen gezwungen war, jedes Mal, wenn das Telefon im Schlafzimmer klingelte, ein Ohr zu heben – und das geschah in gewisser Regelmäßigkeit und war in den letzten Stunden immer wieder vorgekommen –, so litt keiner von beiden größere Not. Jeder Tag hat seine eigenen Sorgen, und wenn zwei beieinanderliegen, dann haben sie es warm.

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    I rina Miller bezahlte den Taxifahrer und betrat das Foyer des Rembrandt . Sie

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