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Himmel über London

Himmel über London

Titel: Himmel über London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nesser
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werden.«
    »Ich mache das nicht für Geld.«
    Er nickte. »Es steht dir frei, es abzulehnen. Oder zu verschenken.«
    Aus einer anderen Schublade holte er einen Umschlag heraus. »Die Instruktionen hast du hier. Ich gebe dir fünf Minuten, sie zu lesen und dir einzuprägen. Dann verbrennen wir sie. Einverstanden?«
    Ich erklärte, dass ich das sei.
    »Gut.«
    Er reichte mir den Umschlag, lehnte sich rauchend zurück.
    »Bitte schön, lies.«
    Ich öffnete den Umschlag und las. Es war ein sehr kurzer Text, und nach ein paar Minuten war ich mir sicher, dass ich ihn mir merken konnte. Ich schob das Papier wieder in den Umschlag und reichte ihm diesen. Er nahm ihn entgegen und steckte ihn in die Brusttasche seines Hemds.
    »Etwas zu trinken?«
    Ich lehnte erneut dankend ab.
    »Gut. Dog wird dich zurück nach Bristol fahren. Hast du noch irgendwelche Fragen?«
    Dog ?, dachte ich. Wolf und Leo und Dog.
    Aber ich hatte keine Fragen, und zwei Stunden später saß ich im Zug auf dem Weg zurück nach London. Mit zwei schwarzen festgeklebten zylinderförmigen Döschen auf der Haut, unter dem Hemd.

29

    D as Grenzland zwischen Traum und Wirklichkeit, sieht so der Tod aus? Landen wir dort, ohne die Möglichkeit, uns in die eine oder andere Richtung daraus fortzubegeben?
    Nach den letzten quälenden Stunden kann ich mir gut vorstellen, dass es sich so verhält. Das ist es, was auf uns wartet, nichts sonst. Der Warteraum der Ewigkeit.
    Es war geplant, Prendergast um sieben Uhr zu treffen, doch mein Zustand ließ es nicht zu, dass ich das Hotel verließ. Zumindest gelang es mir, ihn anzurufen, und wir verschoben den Termin auf morgen Vormittag. Am selben Tag wie die Feier, so hatte ich es nicht geplant, aber es war natürlich auch kein größeres Problem.
    Unter der Voraussetzung, dass ich durchhalte, natürlich. Der Nachmittag und der Abend waren anstrengend, ich hätte Maud an meiner Seite gebraucht, doch sie huschte davon, um mit Irina essen zu gehen, und kam erst spät zurück.
    Nach dem Gespräch mit Prendergast nahm ich also meine Medizin und schlief ein; es muss irgendwann zwischen halb sechs und sechs gewesen sein, und was anschließend passierte, das wissen die Götter. Während es geschah, war ich überzeugt davon, nicht zu schlafen – dass ich ganz einfach irgendwann aufgewacht war, nach einer halben Stunde oder vielleicht auch einer ganzen; und dem, was ich dann erlebte, dem fehlten vollkommen die charakteristische Unbestimmtheit eines Traums und seine unmotivierten Perspektivverschiebungen. Wenn ich trotzdem – im Nachhinein – geneigt bin, zu behaupten, es war ein Traum, dann handelt es sich dabei nur um einen natürlichen Verteidigungsmechanismus. Was tut man nicht alles, um den Verstand zu behalten?
    Also, ich befand mich wieder an diesem Ort. In der Stadt K., in diesem undefinierten Land. Und ich war dieser Mann: Lars Gustav Selén. Ich saß wieder am selben Schreibtisch und betrachtete die drei Dinge auf dem Fensterbrett: das Schulfoto, die Zwiebeluhr und den Zeitungsausschnitt. Ich sagte meinen Namen mit lauter, klarer Stimme. Offenbar vollkommen korrekt, obwohl ich es jetzt nicht mehr schaffe. Ich las eine Weile in einigen der Notizbücher, dann begann ich ein Kreuzworträtsel in einer der Zeitungen zu lösen, die ich morgens gekauft hatte, obwohl es sich um eine fremde Sprache handelte, unklar, welche, und ich begriff, dass ich tatsächlich dieser Mann war .
    Gleichzeitig tat ich mein Bestes, um das in Frage zu stellen. Ich veranstaltete eine Art Argumentation in meinem Kopf, ohne das Kreuzworträtsel aus dem Blick zu lassen, versuchte zu behaupten, dass ich eigentlich Leonard Vermin hieß, dass ich mindestens ein Jahrzehnt älter war und dass ich mich momentan in einem Hotel in London befand, kurz vor meinem siebzigsten Geburtstag. Und Ähnliches.
    Doch da es so offensichtlich war, dass ich tatsächlich an diesem Schreibtisch saß, fiel es mir schwer, mich selbst davon zu überzeugen. Ich versuchte zu behaupten, dass ich nur schlief und träumte, doch es gab nichts, was eine derartige Behauptung unterstützte, absolut nichts. Ich trank von dem kalt gewordenen Kaffee, der neben dem Computer stand, und fand den bittersüßen Geschmack vollkommen natürlich, ich kratzte mich im Schritt, ich zupfte mir an den Nackenhaaren und erlebte genau die Empfindungen, die man erlebt, wenn man sich im Schritt kratzt oder an den Nackenhaaren zieht. Die Dinge um mich herum, die Bücher auf den Regalen, die drei Dinge auf der

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