Himmel über London
drei Orte irgendwie, aber sie erklärte nicht, wie es zusammenhing, und ich hatte gelernt, keine Fragen zu stellen.
Oder: ich lernte es. Wir trafen uns nie länger als ein paar Stunden. Wir wachten nie morgens gemeinsam auf, die Zeit erschien blau, dicht, und das genügte. Jedesmal war ich gezwungen, äußerste Vorsicht walten zu lassen, wenn ich kam und ging; Carla war immer schon an Ort und Stelle und wartete auf mich, meistens hatte sie eine Kerze angezündet und eine Flasche Wein geöffnet. Immer roten, immer italienischen. Nein, wir waren nie länger zusammen, als es dauerte, dass eine Kerze herunterbrennt. Wir liebten uns, wir rauchten Players Number Six, wir tranken die Weinflasche leer.
Es dauerte bis zu den Tagen direkt vor Weihnachten, dass ich einen neuen Auftrag bekam. Ich vermutete, dass es nicht Carla selbst war, die diese Entscheidungen traf: in welcher Hinsicht ich zu benutzen war und für welche Art von Aufgaben. Es gab andere Kräfte im Hintergrund, Carla war eine untergeordnete Spielfigur, genau wie ich, wenn auch deutlich von höherem Wert. Aber ich stellte keine Fragen.
Im Laufe dieser regnerischen und windigen Spätherbstwochen wurden drei weitere tschechoslowakische Spione enttarnt, alles Männer, ich las über sie in der Zeitung, und die Anzahl der Personen in meiner Fotosammlung schrumpfte auf zehn. Der Mord im Holland Park war weiterhin ungeklärt, zumindest schrieb man nicht mehr über ihn, und Carla hatte offensichtlich kein Interesse daran, darüber zu diskutieren.
»Du bist ein Mann, wer auch immer«, sagte sie. »Ich bin eine Frau, welche auch immer. Wir treffen uns, wir lieben uns, wir bedeuten einander immer mehr, aber noch ist es zu früh, rückwärts oder nach vorn zu schauen. Wir leben im Einklang mit den besonderen Umständen dieser Zeit, können wir uns nicht bis auf weiteres mit diesen Regeln zufriedengeben?«
Ich wusste, das bedeutete, dass wir uns mit diesen Regeln zufriedengeben mussten , und aus irgendwelchen Gründen hatte ich nichts dagegen. Ich ging davon aus, dass es keine andere Möglichkeit gab: nicht im Schatten von Prag, der Panzer des Warschauer Pakts, des Eisernen Vorhangs und der totalitären Gewalt. Im Nachhinein ist mir klar, dass es der Alltag war, der auf diese Art von uns ferngehalten wurde: das Triviale oder das politische Leben, das seine graue Haut über diesen roten Strom legt und mit unerbittlicher Sturheit andere, einschränkende Forderungen an Mann und Frau stellt. So weit kamen wir nie, damals noch nicht; nicht einmal bis zu einer so einfachen Sache, den anderen Spiffern zu erzählen – Christopher, Mary und Fjodor –, dass ich eine neue Frau kennen gelernt hatte; es nur zu erwähnen, ohne weiter in die Details zu gehen, das hätte unserer Liebe die Flügel gestutzt. Ich wusste es, und ich weiß es. Im Rückblick bin ich mir nicht mehr sicher, wie dieser subtile Mechanismus beschaffen ist, aber dass ich sein Opfer war, solange es dauerte, daran bestand kein Zweifel. Ich möchte keine weiteren Worte darüber verschwenden.
Den Auftrag erhielt ich am Donnerstag, dem 18. Dezember; wie üblich war ich zu Bramstoke and Partners gegangen, in Erwartung einer Direktive für eine Liebesverabredung, meistens trafen Carla und ich uns freitags oder samstags, manchmal an beiden Tagen – doch an diesem Nachmittag ging es um etwas anderes.
Joshua B. Levine saß wie üblich hinter seinem Schreibtisch und telefonierte. Er hob eine Augenbraue und nickte mir kurz zu, während er gleichzeitig ein zweimal gefaltetes Papier aus der Brusttasche seines Hemdes holte. Er überreichte es mir, ich nahm es entgegen und ging weiter in den ersten Stock, wo es so menschenleer wie immer war. An diesem Tag lag nicht einmal die Katze auf ihrem Platz. Ich setzte mich mit meinem Codeschlüssel und Leibniz an den Tisch unter dem Giebelfenster und begann zu dechiffrieren.
Sofort war mir klar, dass es sich nicht um ein neues Treffen mit Carla handelte, doch es dauerte eine Weile, bis mir klar wurde, dass die Nachricht doppelt codiert war, und es dauerte sicher eine Stunde, bis ich den kurzen Text herausbekommen hatte:
paddington 645 am 19 dec bristol meads warten im bahnhofsrestaurant codewort bruno
In der Nacht hatte ich kein Auge zugemacht, aber um Viertel vor sieben am folgenden Morgen saß ich im Zug nach Bristol, als er Paddington verließ. Das Wetter war ungewöhnlich schlecht, regnerisch, windig und ungemütlich, es schien, als müsste der alte Zug wirklich alle seine
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