Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Himmel über London

Himmel über London

Titel: Himmel über London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nesser
Vom Netzwerk:
verschwand sie um die Ecke, jetzt deutlich schneller als drinnen im Restaurant. Mir war klar, dass ich richtig war.
    Der Mann im Wagen, auch er klein und dunkel, streckte sich über den Beifahrersitz und öffnete die Tür. Ich stieg ein und warf meine Tasche auf den Rücksitz. Wir schüttelten die Hände, er startete den Wagen, und wir fuhren los.
    »Sagen Sie nichts«, sagte er und zündete sich mit einem Zippofeuerzeug eine Zigarette an. »Ich bin nur der Fahrer. Wir haben eine Stunde Weg vor uns. Mindestens.«
    Er hatte fast gar keinen Akzent, aber ihm fehlte ein halbes Ohr. Ich nickte. Lehnte mich zurück und schloss die Augen.
    Das Haus lag versteckt hinter hohen Hecken draußen auf der Heide. Dicke Steinwände, schwarzes Schieferdach. In einem Stall auf der anderen Seite des lehmigen Wegs standen vier bunte Kühe und kauten mit finsterer Miene vor sich hin. Wir stiegen aus und wurden von einer rundlichen Frau mit einem großen schwarzen Regenschirm empfangen. Das Wetter war während der Fahrt über die Heide nicht besser geworden. Mein Chauffeur und die Frau wechselten ein paar Worte in einer Sprache, die ich nicht verstand, von der ich jedoch annahm, dass es Tschechisch war. Dann setzte der Fahrer sich wieder hinters Lenkrad, wendete auf dem Hofplatz und fuhr davon. Ich folgte der Frau ins Haus.
    Der Mann, der mich empfing, war wie aus einem Film herausgeschnitten. Ich nehme an, es handelte sich um eine Art Charisma, jedenfalls begriff ich sofort, dass ich hier vor Macht und Würde stand. Obwohl er nicht viel älter war als ich, höchstens fünfunddreißig, aber ihn umgab eine Aura selbstverständlicher Autorität und Ruhe, die man nicht ignorieren konnte. Ich notierte automatisch, dass er nicht einer der zehn war; er war breitschultrig und hochgewachsen, trug einen dunklen Anzug und ein aufgeknöpftes weißes Nylonhemd; wenn es irgendwelche durchgehenden Merkmale bei diesen osteuropäischen Männern gab, auf die ich seit diesem schicksalsschweren Septembertag auf dem Trafalgar Square getroffen war, so war es wohl das weiße, aufgeknöpfte Hemd. Seine Kiefer waren breit, sein Mund entschlossen, es ruhte ein gedämpfter Spott in seinem Blick, und über seiner rechten Augenbraue, hin zur Schläfe, bemerkte ich etwas, das aussah wie eine Tätowierung. Ein Käfer, wenn ich mich nicht irrte. Das Haar war dunkel und zurückgekämmt.
    Wir musterten uns ein paar Sekunden lang, prüfend, zumindest von seiner Seite aus, dann schüttelten wir die Hände, ohne etwas zu sagen, und er gab mir ein Zeichen, dass ich ihm die Treppe hinauf folgen sollte.
    Das Zimmer, in das wir kamen, war niedrig und langgestreckt, es lief die ganze Hausseite entlang, und nur in der Mitte, auf beiden Seiten des Trägerbalkens, konnte man aufrecht stehen. An den Wänden standen brusthohe Bücherregale mit Büchern und Zeitschriftensammlungen, und auf einem länglichen Tisch lagen Stapel von Papieren, Karten, Büchern und allem möglichen Gerümpel. Es war dem Obergeschoss bei Bramstoke and Partners nicht unähnlich. Wir setzten uns unter einem bleiernen Dachfenster einander gegenüber in Korbstühle.
    »Du brauchst meinen Namen nicht zu wissen«, begann er. »Unter uns kannst du mich Wolf nennen.«
    »Leo«, sagte ich.
    »Ich weiß. Wolf und Leo. Das ist gut.«
    Sein Akzent erinnerte an Carlas. Mit tadelloser Grammatik. Er bot mir aus einem flachen Metalletui eine Zigarette an. Zündete sie uns beiden auch mit einem Zippo an.
    »Etwas zu trinken?«
    Er zeigte auf eine Karaffe und ein paar umgedrehte Gläser auf dem Tisch. Ich schüttelte den Kopf.
    »Bis jetzt war deine Arbeit zufriedenstellend.«
    Ich zuckte mit den Achseln.
    »Aber jetzt wird es langsam ernst.«
    Ich dachte an den toten Mann im Holland Park und fragte mich, ob der mit in die Beurteilung einfloss. »Ich verstehe«, sagte ich.
    »Je weniger du darüber weißt, worum es geht, umso besser.«
    »Auch das verstehe ich«, sagte ich.
    Er lächelte kurz. Dann hob er den Blick und studierte den Regen, der auf das Dachfenster prasselte. Den tiefhängenden, blaugrauen Himmel. Die obersten Zweige eines Baums, ich glaube, es war eine Lärche. Wolf beugte sich vor und zog aus einem Aktenschränkchen eine Schublade heraus. Entnahm ihr zwei kleine schwarze zylinderförmige Dosen, die er eine Weile in der Hand wog, eine in jeder, bevor er sie vor sich auf den Tisch legte.
    »Um die hier geht es«, sagte er. »Sorge dafür, dass sie in die richtigen Hände kommen, und du wirst gut belohnt

Weitere Kostenlose Bücher