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Himmel über London

Himmel über London

Titel: Himmel über London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nesser
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unterlassen, sie in diesen Aufzeichnungen zu er wähnen, doch jetzt bekamen sie plötzlich reichlich Wind in die Segel. Warum saß ich hier? Was waren das für Zusammenhänge, in die ich mich hatte hineinziehen lassen? Wie konnte ich mich nur auf diese Art von Geschäften einlassen, ohne zu versuchen, herauszubekommen, worum es hier eigentlich ging? Wie schwer wog Carlas Versicherung, dass sie natürlich den totalitären Mächten nicht in die Hände spielte? Wie schwer wog leidenschaftliche Liebe, wenn man alles gegeneinander abwog?
    Und Ähnliches, das bald in einer Art existentieller Schwermut mündete, vielleicht hervorgerufen oder zumindest verstärkt durch meinen uniformierten Vater aus dem Traum, ich weiß es nicht, und durch diesen Mord, dessen Zeuge ich im Holland Park wurde. Auf irgendeine Weise schien mir, als gelänge es mir nicht, dieser Realität in die Augen zu schauen: ein Mann war tatsächlich getötet worden, und ich war in das Ganze verwickelt … ja, es kam so einiges aus den letzten Monaten in mir hoch, während ich dort zitternd in dem düsteren, zugewachsenen Garten in Hampstead saß, und alles hing mit einer unbekannten Frau zusammen oder hatte in ihr seinen Ausgangspunkt, einer Frau, die wie ein Blitz aus heiterem Himmel vor gut hundert Tagen in meinem Leben aufgetaucht war. Und zum ersten Mal, ja, wirklich zum ersten Mal, war es, als zöge sich ein Riss durch das Gewebe unserer Liebe. Kurz gesagt, ich zweifelte, und ich weiß, dass ich den Gedanken formulierte: Jetzt reicht es. Es musste Schluss sein mit diesen sonderbaren Aufträgen, diesen chiffrierten Mitteilungen, diesen heruntergekommenen Oststaatlern und diesen lichtscheuen Überbringern, und meine Gedanken waren ungefähr so weit gediehen, als das Tor zur Straße aufsprang und vier in Zivil gekleidete Polizeibeamte in Trenchcoats und mit gezückten Dienstwaffen in den Garten stürmten.
    Mir war klar, dass etwas schiefgegangen war, verdammt und unwiederbringlich schief. Ich weiß nicht, ob ich bereits begriff, dass es sich um Polizisten handelte, bevor eine energische Stimme es mir erklärte, doch ich denke schon. Auf irgendeine Art und Weise war es offensichtlich, und es passte irgendwie zu den Gedanken, die mir während meines fruchtlosen Wartens durch den Kopf gegangen waren.
    Ich wurde vier Stunden lang in einem Raum bei New Scotland Yard verhört. Auf der Fahrt dorthin hatte ich Zeit gehabt, mir die Geschichte zurechtzulegen, die ich ihnen dann ablieferte. Ich saß auf der Rückbank eines Wagens mit getönten Scheiben zwischen zwei Polizeibeamte gezwängt, und offensichtlich hatten sie den Befehl, nicht ein Wort oder einen Gedanken mit mir zu tauschen. Wären sie etwas schneller dabei gewesen, mich auszufragen, wäre es mir kaum gelungen, ein paar einigermaßen zusammenhängende Lügen zu präsentieren.
    Doch jetzt konnte ich es. Zumindest hatte ich allen Grund zu glauben, dass sie meinem Geständnis glaubten, ich wurde nur noch ein einziges Mal zum Yard zitiert, und zwar um das zu bestätigen und zu unterschreiben, was ich bei der ersten Befragung gesagt hatte.
    Ich hatte in einem Pub in Soho einen Fremden getroffen. Er hatte mir eine Summe Geld dafür gegeben, dass ich die schwarzen Plastikzylinder zu diesem Haus an der Cannon Lane in Hampstead bringen sollte. Ich hatte keine Ahnung, worum es sich handelte, es war dumm von mir gewesen, aber ich brauchte Geld, ich war etwas betrunken gewesen, end of story. Ich gab eine ungenaue Beschreibung des Mannes, man zeigte mir Fotos, aber ich konnte ihn leider auf keinem erkennen; er hatte einen Bart und Brille getragen, es gab Grund zu der Annahme, dass er sein wahres Gesicht verbergen wollte.
    Nein, ich hatte keine Ahnung, was diese schwarzen Döschen enthielten. Nein, ich hatte sie nicht geöffnet. Nein, ich hatte dem nichts weiter hinzuzufügen, außer dass ich meine Tat bereute.
    Von New Scotland Yard wanderte ich in grauem Regenwetter heim zum Earl’s Court. Es war der kürzeste Tag im Jahr, und ich fühlte mich verwirrter, als ich mich jemals zuvor in meinem verwirrten Leben gefühlt hatte.
    Ich hörte vor dem neuen Jahr nichts mehr von Carla. In den Tagen zwischen den Festen waren alle Zeitungen des Landes mit Sir John Bairncross beschäftigt, einem hoch angesehenen Beamten beim MI5, der als Spion entlarvt worden war, es gab Verbindungen zu Philby und Burgess. Diesem berühmten Cambridgekreis. Ich zählte eins und eins zusammen und rechnete mir aus, dass das etwas mit meinem

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