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Himmel über London

Himmel über London

Titel: Himmel über London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nesser
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das getan, müssten wir uns nicht auf diese Art wiedertreffen. Aber so sieht das Leben nun einmal aus, es sind die schwachen Momente, in denen wir unseren Taten nicht das rechte Gewicht und ihre Bedeutung zumessen, in denen wir Fehler machen. Unwiederbringliche Fehler. Zumindest in diesem Punkt wirst du mir doch wohl zustimmen?
    Sie klappte das Buch zu. Löschte das Licht. Das Zimmer begann leicht zu schwanken. In dem schmalen Spalt zwischen den Vorhängen flackerte ein neuer Blitz auf.
    Auf der anderen Seite der Wand sieht Milos denselben Blitz. In Nummer 325 sind die Gardinen nicht zugezogen. Er und Leya sind aufgewacht, als Mighty James zerbrach und sein letztes Lied sang, natürlich sind sie das, doch Leya hat sich nur auf ihrem Kissen umgedreht, etwas gemurmelt und ist wieder eingeschlafen.
    Nicht so Milos. Er liegt wach hinter ihrem Rücken und badet in seinem Glück. Es ist unglaublich. Sein Leben ist plötzlich zum reinsten Lustgarten erblüht. Er liegt im selben Bett wie Leya die Goldene, wer hätte das vor einem Monat gedacht? Vor einer Woche? Sie haben sich nicht geliebt, nur fast, doch das liegt nur daran, dass sie ihre Menstruation hat, und es wäre auch noch zu früh. Dennoch ist sie mit ihm ins Hotel gegangen, er weiß nicht, ob er sie dazu überredet hat, und wenn ja, wie, aber so ist es gekommen. Nach dem Essen in dem rotschimmernden italienischen Restaurant hinten bei Portobello haben sie sich einfach ein Taxi herbeigewinkt, und dann ist es so gekommen. Sie haben einen Piccolo Sekt aus der Minibar im Zimmer geteilt, und dann lagen sie lange einfach nur da, eng umschlungen, und unterhielten sich, so wie sie es vor zehn Jahren in Leyas Wohnung in der 27. Straße in New York gemacht haben, ja, es schien wirklich, als gäbe es die Zeit dazwischen gar nicht. Als wären all diese Wochen, Monate und Jahre nur in Klammern vorhanden, als hätte sie die ganze Zeit darauf gewartet, dass er zurückkäme. Oder besser gesagt, ihr folgte, denn sie war es ja, die fortging, das erscheint gleichzeitig vollkommen selbstverständlich und vollkommen merkwürdig. Er weiß, dass sie um sieben Uhr aufstehen muss, um noch nach Hause zu kommen und rechtzeitig zur Arbeit in der Bank zu erscheinen, und er weiß, dass er eigentlich nur noch zwei ganze Tage in London hat, aber irgendwie erscheint ihm das in keiner Weise ein Hindernis für sein Glück. Morgen – oder eigentlich ja heute, denn es ist bereits ganz, ganz früher Morgen – wird er auf diese Feier gehen, es wird ein Auto kommen und ihn um halb acht am Hotel abholen, nachmittags lag eine Nachricht in seinem Zimmer, und anschließend, anschließend wird sie auf ihn warten. Sie ist wirklich neugierig, worum es sich bei dem Ganzen eigentlich dreht und worauf es hinauslaufen wird, damit hat sie nicht hinterm Berg gehalten, sie haben lang und breit darüber diskutiert, und ganz tief in dem immer noch sehr schlecht beleuchteten Winkel seines Bewusstseins hat er den Gedanken gepflanzt, dass … dass, was immer auch passiert, was dieser Gönner auch für Absichten haben mag, so wird Milos Skrupka nicht willenlos sein blutleeres Leben im unteren Manhattan in New York City fortsetzen, als wäre das die einzige mögliche Lösung.
    Und er schmiegt sich vorsichtig an sie und saugt den Duft ihrer Haare mit seinen Nasenflügeln auf. Und ihrer Haut. Wenn die Zeit stehen bleiben sollte, dann bitte jetzt, denkt er, denn er hat noch nie einen vollwertigeren Moment in seinem Leben erlebt als diesen. Die ganze Welt schläft, sogar seine Leya schläft, doch der Augenblick, jetzt, 04.08 Greenwich Mean Time, ist viel zu kostbar, um ihn nicht mit weit geöffneten Sinnen zu erleben. Phil und Zlatan sollten das nur wissen. Es wirklich anzunehmen, wirklich zu leben, sich nicht eine Unze dieses Wunderbaren entgehen zu lassen, dieses Unbegreiflichen, Großartigen, dieses Vollkommenen … und als wollte er diese wunderbare Verzauberung illustrieren, wird der Himmel über Kensing ton Gardens durch einen weiteren Blitz erleuchtet. Nein, nicht durch einen, es sind mehrere Blitze, die gemeinsam die gesamte Stadt für ein paar langgezogene Sekunden in ein vergeistigtes, verführerisches Licht tauchen; die innere und die äußere Landschaft werden im schönsten Einklang vereint, denkt Milos, es ist wunderbar, wahrlich, wahrlich wunderbar. Ich glaube, ich kann fliegen.
    Eine Meile weiter nordöstlich, in einem heruntergekommenen Mietshaus an der Kemble Street, sieht die Lage anders aus. Vollkommen

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