Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)
Gjräfin … bitte sehr.« Er stellte das dampfende Getränk vor Elvira auf den Tisch. Dann sagte er: »Darf ich den Damen den jungen Dr. Gjrüben aus Insterburg melden? Er ist eben eingetroffen.«
Überrascht sah Wilhelmine den Diener an. »Ich habe nicht nach ihm schicken lassen. Soweit ich weiß, ist hier niemand krank.«
»Mit Verlaub, Frau Gräfin, das war der Herr Graf höchstpersönlich. Er wünscht, dass der Doktor nach dem Baronesschen sieht. Sie kam ihm man doch ein bisschen zu misrig vor.«
»Ich denke, Tanya ist mit Aglaia in Königsberg?«, fragte Elvira erstaunt.
»Nein, sie ist auf ihrem Zimmer. Sie wollte partout nicht mit.« Dann wandte sich Wilhelmine an Kurt, der wartend an der Tür stand. »Also in Gottes Namen, begleite den Doktor hinauf zu meiner Nichte. Anschließend bitte ich ihn dann zu mir.« Wilhelmine sah Elvira fragend an. »Wieso sagt Kurt ›der junge Doktor Grüben‹, was ist mit dem alten? Ist der tot? Nun, das hätte man ja wohl gehört.«
»Nein, tot ist er nicht«, sagte Elvira lachend. »Er hat vor etwa einem Jahr …«, sie überlegte kurz, »… so ganz genau weiß ich es auch nicht mehr … Jedenfalls hat er die Praxis an seinen Sohn übergeben. Man hört im ganzen Landkreis nur Gutes von ihm.«
»Na, da bin ich aber mal gespannt, was er bei Tanya für ein Leiden entdeckt.« Kurze Zeit später betrat ein blendend aussehender junger Mann Mitte zwanzig den Raum. Seine dunkelblonden Locken waren nach hinten gekämmt, und in dem frischen Gesicht blitzten leuchtend blaue Augen. Er begrüßte die beiden Damen mit einem Handkuss.
»Wie ich höre, haben Sie die Praxis Ihres Vaters übernommen«, begann Wilhelmine das Gespräch. »Er hat unsere Familie ja seit Jahren betreut. Bitte nehmen Sie doch Platz, lieber Doktor, kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?«
»Nein danke, sehr liebenswürdig, Gräfin.«
»Nun, was fehlt denn meiner Nichte, es ist doch hoffentlich nichts Ernstes?«, fragte Wilhelmine.
»Die junge Dame ist etwas blutarm und unterernährt«, sagte er, »aber eine ernsthafte Erkrankung habe ich nicht feststellen können.«
»Siehst du, Elvira?« Wilhelmine schüttelte unwirsch den Kopf. »Ich habe es doch gesagt. Horst hat mal wieder maßlos übertrieben in seiner Sorge um Tanya.«
Der junge Mann räusperte sich. »Nun, da ist noch etwas, das Sie vielleicht wissen sollten.«
»Ja, was gibt es denn?« Wilhelmine war jetzt leicht ungehalten.
»Die junge Dame ist schwanger. Daran besteht kein Zweifel.«
Die beiden Frauen starrten den Arzt fassungslos an. »Nein«, sagte Wilhelmine energisch. »Das ist ganz unmöglich! Das kann nicht sein!« Hektisch fächerte sie sich mit ihrem Stickrahmen Luft zu, als könne sie so einer drohenden Ohnmacht entgehen.
»Wie … wann soll das denn passiert sein?«, presste sie nach Atem ringend hervor. »Nun, das wie dürfte Ihnen ja nicht unbekannt sein«, der junge Arzt hob bedauernd die Schultern. »Ja, und über das wann kann Ihnen wohl nur die Baroness Auskunft geben.«
Elvira war die Erste, die ihre Fassung wiedererlangte. »Haben Sie eine Ahnung, wie lange schon, ich meine in welchem Monat Tanya ist?«, fragte sie.
»Ich denke, sie ist Ende des dritten Monats. Es sind bereits leichte Herztöne zu hören.«
»Das Kind muss weg!« Wilhelmine keuchte, sie war außer sich. »Wir müssen einen Weg finden … dieser Skandal! Herr Dr. Grüben, können Sie uns helfen?«
Der Doktor sah sie empört an. »Ich muss doch sehr bitten, Gräfin Wallerstein! Ich bin Arzt und kein Engelmacher.« Er stellte ein Fläschchen auf den Tisch. »Ich lasse Ihnen ein Mittel gegen Blutarmut da. Sorgen Sie bitte dafür, dass die Baroness etwas Gehaltvolles zu sich nimmt.« Er erhob sich. »Meine Damen, ich empfehle mich.« An der Tür drehte er sich noch einmal um. »Zögern Sie nicht, mich zu rufen, wenn es Komplikationen gibt. Guten Tag!«
Wilhemine war außer sich. »Was machen wir denn bloß, Elvira? Eine Schande ist das, ein Skandal!« Sie lachte böse. »Wie reizend, kannst du dir das vorstellen? Eine Brautjungfer mit dickem Bauch, und das auch noch ohne Vater. Willst du mir vielleicht sagen, wie das gehen soll? Das werde ich auf keinen Fall zulassen.« Ihre Stimme wurde immer schriller. »Wieder und wieder habe ich Horst gesagt, so etwas vererbt sich. Die Mutter eine Hure und die Tochter eine Hure!«
Elvira versuchte, ihre Freundin zu beruhigen. »Wilhelmine, mäßige dich! Wie kannst du nur so etwas sagen. Solche Dinge passieren
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