Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)
ja auch was von Frau und Kind haben und nicht nur arbeiten. Jetzt genieß erst mal deine Hochzeitsreise. Lange genug hast du schließlich darauf warten müssen, und vor allem hast du dir die Ferien auch verdient.«
Als sie an diesem Nachmittag nach Hause kamen, hatten sie nicht nur den unterschriebenen Vertrag, sondern auch Hasso, Jeskos neuen Jagdhund, dabei, einen acht Monate alten braunen Vorstehhund, kurz behaart und mit großen dunklen Augen. Er war für die Jagd ausgebildet und folgte aufs Wort. Ängstlich hielt Aglaia ihre beiden Lieblinge auf dem Arm, als er neugierig an ihr hochsprang. Aber nach kurzem Beschnuppern tollten die drei auf der Wiese herum, als würden sie sich schon ewig kennen.
Für den Abend hatten sich die Eyersfelds angesagt, außerdem erwartete man Graf Dühnkern mit seiner Frau Philine. Elvira überlegte kurz, ob sie Wilhelmine dazubitten sollte, verwarf den Gedanken aber schnell wieder. Ihr Geflirte mit Ferdinand war zu peinlich gewesen. Warum sollte sie sich und den anderen das antun? Wie es oft so geht, war das geplante ›kleine Abendessen‹ auf fast dreißig Personen angewachsen. Das wunderte in Ostpreußen niemanden. Und schließlich hatte auch Wilhelmine kurzfristig ihr Kommen angekündigt.
Ich traf Ursula Eyersfeld in Insterburg, und sie sagte mir, dass sie morgen Abend bei Euch ist. Ich komme mit Freuden dazu! , hatte sie mit großer Selbstverständlichkeit in einer kurzen Note mitgeteilt.
Elvira war leicht verschnupft. Sie hätte Aglaia gern ein weiteres Zusammentreffen mit ihrer Mutter erspart. Aber Jesko hatte nur gelacht. »Da müssen wir jetzt alle durch, auch du, Ferdinand!«
Dieser meinte flehend: »Es wäre mir sehr recht, wenn ich sie nicht zu Tisch führen müsste, Elvira.«
»Keine Sorge, lieber Schwager, das tue ich dir nicht an. Da wir auch nicht von den Hellers verschont sind, werde ich sie zwischen den Kommerzienrat und den Hofrat von Saalfeld platzieren.«
Jesko grinste. »Ich fürchte, das wird dir deine alte Freundin aber schwer übel nehmen.«
»Ich muss ja auf Wallerstein auch die ununterbrochen strickende, langweilige Frau Kommerzienrat ertragen«, meinte Elvira. »Das ist nur die Revanche.«
Die Tafel im großen Speisesaal war festlich gedeckt. Das blank geputzte Silber glänzte um die Wette mit dem feinen Porzellan und den schweren Kristallgläsern. Am Nachmittag hatten Elvira und Aglaia noch zahlreiche Rosen in allen Farben geschnitten und in flachen Silberschalen auf dem langen Tisch verteilt, sowie die von Hand beschriebenen Platzkarten aus weißem Büttenpapier in die kleinen aus Elfenbein geschnitzten Ständer hinter dem jeweiligen Gedeck gesteckt. Die Tischdekoration überließ Elvira nie der Hausdame. Sie liebte es, sich jedes Mal einen neuen Tischschmuck auszudenken, und es war Aglaia ein großes Vergnügen, ihr dabei behilflich zu sein. Als sie sah, wo ihre Mutter platziert war, musste sie lachen. »Du willst wohl Onkel Ferdinand vor Mamas Avancen verschonen. Ich bin mir sicher, dass sie von ihm zu Tisch geführt werden möchte.«
»Tja, das mag ja sein«, lächelte Elvira. »Aber heute geht es nun mal nicht so, wie sich deine Mutter das vielleicht wünscht.« Um sechs Uhr wurden die Gäste erwartet. Elvira inspizierte bereits in ihrem bezaubernden lindgrünen Abendkleid noch einmal mit der Hausdame die Tafel, legte hier ein Messer zurecht, das vom Messerbänkchen gerutscht war, und rückte dort eine Kerze gerade. »Ich glaube, es ist alles in Ordnung, Frau Keller«, sagte sie. »Gehen Sie doch bitte noch einmal durch den Salon, ob dort alles an seinem Platz ist, die Kerzen erneuert wurden und keine der Blumen den Kopf hängen lässt. Ich denke, die Gäste werden gleich kommen, und sagen Sie der Mamsell Bescheid, dass wir um halb sieben essen wollen.« Nach einem kurzen Blick in den Spiegel rief sie: »O Gott, ich glänze ja schon wieder. Ich muss mir noch schnell die Nase pudern. Sagen Sie meinem Mann, ich bin gleich wieder unten.« Es war schier unmöglich, mit einem glänzenden oder von der Sonne gebräunten Gesicht in der Gesellschaft zu erscheinen.
Kurz darauf traf sie in der Halle auf Jesko, Eberhard und Ferdinand. Die Herren trugen dem Anlass entsprechend Frack. Als Aglaia die Treppe herunterschritt, riefen alle vier wie aus einem Mund: »Aglaia, du siehst ja bezaubernd aus.« Ihr schwangeres Bäuchlein war kaum wahrnehmbar unter einem Empirekleid aus fliederfarbener, fließender Seide. Der tiefe, breit gezogene Ausschnitt ging
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