Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)
über in große Puffärmel, und ihre in der Mitte gescheitelten dunklen Haare waren seitlich zu dicken Korkenzieherlocken aufgedreht. Als einzigen Schmuck trug sie passend zur Farbe ihres Kleides in Gold gefasste Amethystohrringe.
»Gib mir noch schnell einen Kuss«, flüsterte Eberhard, »ich höre bereits eine Kutsche.« Und da erschienen auch schon die ersten Gäste. Bald waren alle da außer Wilhelmine. Die Diener servierten Champagner, man verteilte sich in den Salons, und es bildeten sich kleine Grüppchen. Es war ein hübsches Bild, die Damen in großer Toilette, einige wenige bereits in den seit kurzem in Mode gekommenen Krinolinen, den ausladenden Röcken, die durch Drahtgestelle und unzählige Unterröcke gehalten wurden.
Es war bereits kurz vor sieben, als Jesko auf seine goldene Taschenuhr sah. »Wo bleibt bloß Wilhelmine?«, fragte er Elvira, die schon seit einer Weile nervös in Richtung Tür blickte.
»Es ist wirklich ein Kreuz mit ihr!« Elvira rollte empört die Augen. »Sie ist noch nie pünktlich gewesen, aber seit ich sie kenne, lebt sie in dem Wahn, die personifizierte Pünktlichkeit zu sein.« Sie winkte Willi zu sich und trug ihm auf, für sieben Uhr anrichten zu lassen. »Hertha bekommt sonst einen Nervenzusammenbruch, wenn ihr Braten verbrutzelt und das Gemüse verkocht. Du weißt doch, wie sie ist.«
»Du hast recht«, sagte Ferdinand, der Elviras Worte gehört hatte. »Lieber verärgern wir Wilhelmine als unsere geschätzte Mamsell.« In diesem Moment kündigte der Diener Wilhelmines Ankunft an. Mit strahlendem Gesicht und ausgebreiteten Armen rauschte sie auf Elvira zu, besser gesagt, sie rollte. Auch sie trug eine Krinoline, die sie trotz eng geschnürter Taille so breit wie hoch erscheinen ließ. An dem etwas zu tiefen Ausschnitt, der zu viel von ihren vollen Brüsten zeigte, steckte eine riesige Brillantbrosche, und ihre Haare waren zu einem kunstvollen Lockenturm frisiert.
»Entschuldige die kleine Verspätung«, rief sie, bevor Elvira ihrem Ärger Luft machen konnte. »Wir hatten ein kleines Problem mit meinem neuen Kleid. Sag, wie findest du es?«
»Nun …«, Elvira fehlten die Worte, »es ist sehr … hm, sehr hübsch. Ich nehme an, es ist ein Werk von Frau Klühspieß?«
»Ja, fabelhaft, findest du nicht? Du solltest dir auch so etwas machen lassen. Wie ich höre, trägt man in Berlin schon nichts anderes mehr.« Während Wilhelmine Jesko und Ferdinand begrüßte, lästerten Ursula von Eyersfeld und Philine von Dühnkern hinter vorgehaltenen Fächern über ihre gemeinsame Freundin. »Nun sieh dir doch bloß Wilhelmine an«, sagte Ursula. »In diesem Kleid sieht sie aus wie eine zu fest gestopfte Blutwurst.«
»Ja, die Frau Klühspieß hätte das Mieder vielleicht ein wenig weiter und den Ausschnitt ein bisschen höher schneidern sollen. Man hat den Eindruck, sie platzt gleich«, kicherte Philine. »Ihr Gesicht ist schon puterrot. Und sieh bloß, wie sie Ferdinand anhimmelt. Elvira sagte mir, er wird uns zu Tisch führen. Ich fürchte, das wird der guten Wilhelmine gar nicht gefallen.«
»Bestimmt nicht.« Die Flügeltüren zum großen Speisesaal wurden geöffnet. Der Diener schlug den Gong und rief laut: »Es ist angerichtet.«
Ursula deutete auf Kommerzienrat Heller, der sich in Richtung Wilhelmine bewegte und ihr den Arm bot. »Nun sieh bloß Wilhelmines Gesicht! Sie sieht aus, als hätte sie auf eine Zitrone gebissen. Ich fürchte, Elvira hat ihr richtig die Suppe versalzen.« Nachdem alle ihren Platz gefunden hatten, kam die Unterhaltung schnell in Fluss. Nur Wilhelmine war wütend. Wie konnte Elvira nur! Sie musste doch gemerkt haben, wie gern sie neben Ferdinand platziert gewesen wäre. Und Aglaia hatte sie auch äußerst kühl begrüßt. Was war denn bloß in die beiden gefahren, hatten sich denn alle gegen sie verschworen? Sie nahm sich vor, ihrer Freundin später die Meinung zu sagen. Aber erst einmal riss sie sich zusammen. Höflich machte sie Konversation, mal mit dem Kommerzienrat, mal mit dem Hofrat. Aber immer wieder sah sie zu Ferdinand hinüber, ohne auch nur einmal einen Blick von ihm zu erhaschen. Sehr zu ihrem Missfallen unterhielt er sich blendend mit seinen beiden Tischdamen. Bald hatten sie festgestellt, dass sie alle drei die Liebe zur Musik teilten. »Mein Mann hatte kürzlich in Leipzig zu tun«, erzählte Philine, »und da hatte ich die Gelegenheit, die Uraufführung von Robert Schumanns Oper Genoveva zu hören.« Sie verdrehte selig die Augen.
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