Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)
Ellart?«
Das Strahlen in den Augen des Lehrers erlosch. »Nun … er bemüht sich, wirklich …«, war alles, was er herausbrachte. Zu großer Tadel, fürchtete er, könnte ihn diese so wunderbare Stellung kosten.
»Nun, das ist ja wenigstens etwas«, sagte Eberhard.
Wenn keine Gäste da waren, nahmen die Kinder und der Lehrer die Mahlzeiten mit der Familie ein. Gleich am ersten Tag mokierte sich Ellart über Franz’ nicht ganz korrekte Tischmanieren.
»Wie hält der denn das Messer«, sagte er laut, worauf Franz blutrot anlief, Messer und Gabel hinlegte und nicht weiteraß. Alexander sah seinen Bruder wütend an, aber bevor er etwas sagen konnte, rief Aglaia aufgebracht: »Was ist das denn für ein Benehmen einem Gast gegenüber, Ellart! Du entschuldigst dich sofort bei Franz, hörst du?«
Keiner sprach, alle sahen Ellart an, aber der schob nur schmollend die Unterlippe vor.
»Nun, was ist?« Eberhards Stimme klang bedrohlich. »Wir warten.«
Eine Minute herrschte absolute Stille, dann sagte Aglaia ruhig: »Geh sofort auf dein Zimmer, Ellart. Du wirst heute ohne Essen auskommen.«
Wütend stieß der Junge seinen Stuhl zurück, sodass er mit lautem Krach hintenüberfiel und rannte aus dem Speisezimmer.
»So, Franz, jetzt entschuldige ich mich für meinen Sohn«, sagte Aglaia freundlich, »und bitte iss weiter. Ich verspreche dir, so etwas wird nicht wieder vorkommen.«
Franz hatte von diesem Vorfall gelernt, und bald hatte er vollendete Tischmanieren. Aufmerksam beobachtete er, wie die anderen das Besteck hielten, sah, dass man beim Essen nicht den Arm aufstützte und wie man sich mit der Serviette den Mund abwischte. Und noch etwas hatte er gelernt: Ellart und er würden nie Freunde werden.
1861
I m Januar des Jahres erlag König Friedrich Wilhelm seiner schweren Krankheit. Eine Weile sorgte sein Tod für Gesprächsstoff, aber erwartungsgemäß folgte ihm sein Bruder Wilhelm auf den Thron, und unter dem Motto ›Der König ist tot, es lebe der König‹ ging man wieder zur Tagesordnung über.
Kurz darauf schlug die Nachricht von Gustav Goelders Verlobung im ganzen Landkreis ein wie eine Bombe. Eberhard erfuhr die Neuigkeit von Leopold von Troyenfeld, den er eines Morgens auf der Bank in Insterburg getroffen hatte.
»Stellt euch vor«, erzählte er sofort nach seiner Rückkehr der erstaunten Familie, »Leopold war mit Mathias und Gustav auf einer Hochzeit in Tilsit, und da hat sich Gustav Hals über Kopf in eine Agathe von Kliering aus Riga verliebt. Sie wollen so bald wie möglich heiraten.«
»Na, das is ja en Ding!«, rief Jesko. »So schnell kann’s gehen!«
»Was sagt denn Leopold? Wie sieht sie aus, diese Agathe, die einen unserer eisernsten Junggesellen so schnell rumgekriegt hat?«, fragte Elvira neugierig.
»Sie soll sehr hübsch sein und äußerst elegant. Ihr Vater ist Diplomat in Riga, fabelhafte Familie, meint Leopold.«
»Und was hält Mathias davon?«, fragte jetzt Aglaia.
Eberhard musste lachen. »Mathias und Leopold meinen beide, es sei wohl doch ein bisschen plötzlich. Wieder einer weniger im Kreise ihrer Saufkumpanen. Von den anderen Dingen will ich gar nicht reden!« Über Leopolds wilde Feste auf Schloss Troyenfeld kursierten die wüstesten Gerüchte.
»Irgendwann werden auch diese beiden Kerle in das Joch der Ehe gezwungen.« Ferdinand, der wieder mal auf Birkenau zu Besuch war, nickte bedächtig mit dem Kopf. »Ich kenne keinen, dem dieses Los erspart geblieben ist.«
Bereits zwei Wochen später traf die Einladung zur Hochzeit auf Birkenau ein. »Na dann, auf nach Riga! Das lassen wir uns doch nicht entgehen«, beschloss Eberhard vorfreudig.
Elvira und Aglaia riefen wie aus einem Munde: »Wir brauchen unbedingt etwas Neues zum Anziehen.« Und Elvira meinte ganz ernst: »Wir wollen doch neben der eleganten Braut nicht aussehen wie zwei ostpreußische Landpomeranzen, findest du nicht auch, Aglaia?«
Und Jesko sagte: »Nur zu, meine Damen, gebt der reizenden Frau Klühspieß mal ordentlich was zu verdienen. Wo sie doch jetzt in den höchsten Kreisen verkehrt!«
Kurz darauf erhielt Aglaia einen Brief von ihrem Vater. »Papa möchte, dass wir ihn so bald wie möglich in Berlin besuchen, Eberhard. Er schreibt, es gehe ihm nicht gut, sein Herz macht ihm zu schaffen. Hierherzukommen sei ihm im Moment zu beschwerlich. Findest du das nicht merkwürdig?«
»In der Tat«, bestätigte Eberhard. »Aber ich kann hier zurzeit unmöglich weg, wir sind mitten in der Ernte.«
»Dann
Weitere Kostenlose Bücher