Himmel über Tasmanien
ohnmächtig wurde. Was Algernon dazu sagen würde, wagte sie sich gar nicht vorzustellen.
Sie warf einen Blick auf die am Kai Versammelten und bat im Stillen um einen offiziellen Empfang. Sollte keiner stattfinden, würde Algernon für den Rest des Tages in schlechte Laune verfallen. »Eunice hat geschrieben, dass Sydney für eine neue Kolonie ziemlich hoch entwickelt ist und dass Gouverneur Robinson sich auf dein Eintreffen freut.«
Die Nasenflügel wurden eingezogen. »Der Gouverneur wird wohl kaum auf deine Schwester hören«, erwiderte er herablassend. »Genug Geschwätz, Clarice. Ich möchte mich auf meine Rede vor dem Empfangskomitee konzentrieren.«
Clarice hatte sie schon oft gehört und hielt sie für außerordentlich hochtrabend, doch da ihre Meinung nicht zählte, wandte sie ihre Aufmerksamkeit dem Hafen zu, in den eine Flotte kleiner Schlepper die Dora May hineinbugsierte. Jetzt, da sie näher kamen, konnte sie die eleganten Häuser und Gärten sehen, die stattlichen roten Backsteinmauern der Regierungsgebäude und Kirchen und die breiten, gepflasterten Straßen. Das alles erschien ihr wesentlich zivilisierter als so manch anderer Hafen, in dem sie unterwegs angelegt hatten.
Ihr Herz schlug schneller, als sie die Menge auf dem Kai nach dem vertrauten, einst geliebten Gesicht absuchte. Sie hatte Angst, es zu sehen, konnte aber nicht widerstehen, danach zu suchen – doch zu viele Menschen warteten dort, und in ihre Enttäuschung mischte sich Erleichterung.
Das Gedränge der Passagiere an Deck wurde bald beengend, und die Verbindung von Hitze und Herzklopfen überwältigte sie. Sie hatte das Gefühl, als wäre ihr Kopf mit Watte gefüllt, und vor ihren Augen tanzten helle Lichtflecken. Aus Angst, in Ohnmacht zu fallen, begann sie sich durch die Menge zu schieben.
»Clarice? Wo willst du hin?«
Algernons Stimme klang wie aus weiter Ferne, und als die Dunkelheit immer näher rückte, begann sie, noch stärker vorwärtszudrängen. Wenn sie in Ohnmacht fiele, würde sie zertrampelt. Sie musste Schatten und Raum zum Atmen finden.
Endlich kam sie taumelnd aus dem Gewühl frei und sank dankbar auf eine Einstiegsluke. Eine schützende Persenning war darübergespannt, und Clarice seufzte erleichtert auf, als ihr schließlich klarer im Kopf wurde und der Luftzug ihres Fächers ihr Kühlung verschaffte.
»Steh auf«, zischte Algernon, dessen große Hand sich um ihr Handgelenk schloss. »Du fällst unangenehm auf.«
»Ein leichter Schwächeanfall«, erwiderte sie und wand sich aus seinem Griff. »Gönn mir ein bisschen Erholung.«
»Du kannst nicht wie ein schlaffer Wäschesack hier herumsitzen«, fuhr er sie an. »Ich werde dich in unsere Kabine bringen, wo du dich abseits fremder Blicke ausruhen kannst.«
Sie versuchte aufzustehen, doch die dunklen Wolken kamen wieder, und ihre Beine drohten unter ihr nachzugeben. »Ich kann nicht«, flüsterte sie. »Bitte, hol mir ein bisschen Wasser.«
Algernon funkelte sie wütend an, dann wurde ihm klar, dass man sie beobachtete, und er wurde sogleich beflissen. »Nehmen Sie sich meiner Frau an«, befahl er einer Kellnerin in der Nähe, »und zwar ein bisschen plötzlich.«
Clarice scherte sich nicht darum, dass die ganze Welt zuschaute, als sie ihren Kopf in den Schoß legte und versuchte, ihre fünf Sinne wiederzuerlangen. Die junge Frau wischte ihr mit einem kühlen Tuch über Stirn und Nacken und half ihr, Wasser aus einer Tasse zu trinken. Clarice nahm das Tuch, tupfte diskret den Schweiß von ihrer Brust und ihrem Gesicht und zog die verhassten Handschuhe aus.
Am Ende vertrieben das Wasser, der Schatten und der kühlende Fächer ihr Unwohlsein, und sie betrachtete den deutlich verstimmten Algernon, der das Deck abschritt und einenBlick auf seine Taschenuhr warf. »Wenn du mir helfen könntest«, murmelte sie, »denn ich bin noch ein wenig unsicher auf den Beinen.«
Seine Miene war grimmig. »Das geht einfach nicht, Clarice. Der Gouverneur wird von uns erwarten, dass wir als Erste von Bord gehen«, knurrte er. »Jetzt müssen wir mit dem gemeinen Volk an Land gehen und uns selbst vorstellen.«
Clarice packte seinen Arm, öffnete ihren Sonnenschirm und ließ sich von ihm zur Gangway führen. Ihre Beine zitterten noch immer, doch ihr war klarer im Kopf, und Algernon hatte noch nicht bemerkt, dass ihre Handschuhe fehlten. Sie legte das Lächeln auf, das man von ihr erwartete, schob das Kinn vor und bereitete sich darauf vor, den Gouverneur zu begrüßen.
Sie
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