Himmel un Ääd (German Edition)
Natürlich weiß ich,
dass man sich in unserer Branche Gäste nicht aussuchen kann. Aber nur noch für
solche Leute zu kochen würde mich deprimieren. Außerdem frage ich mich, warum
die sich hier oben treffen müssen.«
Ich beugte mich
zum Fenster vor und sah nach unten. Der künstliche See eine blaue Pfütze, die
Kinoschilder am Dach des Cinedoms bunte Rechtecke, die Straßen schmale Linien.
Der Dom, der Rhein, die Messehallen, die Lanxess-Arena, alles in
Spielzeuggröße.
»De facto liegt
ihnen die Stadt zu Füßen. Das gibt ihnen eine Illusion davon, wie es sich
anfühlt, ganz oben zu sein«, meinte ich.
»Ich denke noch an
etwas ganz anderes.« Helen sah ebenfalls aus dem Fenster. »Kennst du den Film
›Der dritte Mann‹?«
»Lalalalalaa,
lala«, summte ich das berühmte Karas-Stück und dachte an das Burg Kino am Opernring
in Wien, wo ich den Film mit Ecki gesehen hatte. Eine andere Stadt, eine andere
Zeit. Die Welt weit und offen, der Alltag leicht und prickelnd! Eine Zeit ohne
Morde und ohne Betrug. Zumindest in meinem Leben.
»Erinnerst du dich
an die Szene im Riesenrad? Als Holly Martins endlich Harry Lime trifft?«
Eigentlich
erinnerte ich mich nur an die Musik, denn wir waren während des Films frisch
verliebt und eher mit uns selbst beschäftigt gewesen. Unsere wilde Knutscherei
hatten wir nur durch gelegentliche Blicke auf die Leinwand unterbrochen, und da
hatte ich nasse Wiener Straßen und Trümmergrundstücke in Schwarz-Weiß gesehen.
Das wunde Herz meldete sich wieder. Wieso musste Helen Maibach ausgerechnet
diesen Film erwähnen?
»Die beiden
steigen in das Riesenrad, das an oberster Stelle anhält«, erzählte sie weiter.
»Holly wirft Harry seine kriminellen Penicillin-Geschäfte vor. Der aber deutet
hinunter auf die Mini-Menschen auf dem Erdboden und will von Holly wissen, ob
wirklich jede dieser winzigen Gestalten wichtig ist. Und dann erzählt er von
den Borgias, die Italien mit Mord, Intrigen, Grausamkeit und Menschenverachtung
regiert haben, aber einen Michelangelo und einen Leonardo da Vinci
hervorbrachten. – Verstehst du, was ich sagen will?«
Ich verstand vor
allem, dass Helen Maibach in ihren Erzählungen zu barocken Ausschweifungen
neigte.
»Von hier oben aus
kann man leichter über Leichen gehen, oder Höhe fördert Größenwahn«, fasste ich
meine Einschätzung in Kurzform zusammen. »Sollen wir zum Weiterreden ein Café
mit Bodenhaftung suchen, oder erzählst du mir auch hier von deinem Ärger mit
Eilert?«
Ihr Lachen geriet
ein wenig bitter, aber ihre Kohleaugen sahen mich offen an.
»Manchmal ist es
ein Fehler, wenn einem im Leben alles zufällt«, begann sie. »Weil man nicht für
die Gemeinheiten gewappnet ist. Als eine, die gern kocht, habe ich eines Tages
beschlossen, ein Restaurant aufzumachen. Völlig leichtsinnig, völlig
größenwahnsinnig, aber es hat funktioniert! Das Belgische Viertel war damals
noch nicht so in wie heute. Ich konnte das
heruntergekommene Lokal zu einem Spottpreis mieten. Der alte Schmitz, mein
Vermieter, mochte mich. Er hat die Miete nicht mal erhöht, als ›Himmel auf
Erden‹ wirklich gut lief. Kurzum, innerhalb von wenigen Jahren habe ich es
geschafft, zu einer der besten Adressen für vegetarische Küche in Köln zu
werden. Als Autodidaktin! Mein Laden brummte, und ich hatte den Eindruck, alles
richtig gemacht zu haben. Von wegen! Dann ist der alte Schmitz gestorben, und
seine Erben haben das Haus an Eilert verkauft. Blauäugig, wie ich war, hat mich
das nicht beunruhigt, denn mein Pachtvertrag lief noch für weitere sechs
Jahre.«
Man konnte sehen,
dass sie sich auch heute noch über ihre Naivität ärgerte. Bevor sie
weitererzählte, bestellte sie beim zufällig aufgekreuzten Kellner mit meinem
Einverständnis zwei Espressi.
»Eilert kam
vorbei, hat von seinen Plänen für das ›All-inclusive‹ erzählt und mir eine
Abfindung von fünfzigtausend Euro geboten, wenn ich sofort gehe. Ich habe
abgelehnt und auf die Einhaltung des Pachtvertrages gepocht. Ich gestehe das
sehr ungern und nur, um dich zu warnen: Er hat mich mit absolut miesen Tricks
in nur drei Monaten weichgekocht. Keinen dieser Tricks kann ich beweisen. Ich
weiß nicht, wer mir die toten Ratten in die Kühlung gelegt hat, ausgerechnet an
dem Morgen, als das Gesundheitsamt einen Überraschungsbesuch machte. Ich weiß
nicht, wer die negativen Kritiken zu ›Himmel auf Erden‹ ins Netz gestellt hat.
Ich weiß nicht, warum ausgerechnet in dieser Zeit der Bürgersteig
Weitere Kostenlose Bücher