Himmel un Ääd (German Edition)
gewesen sein oder vor der Tür gestanden haben. Sie lehnte
ihren schmalen Körper an eine freie Stelle an der Wand. Erschöpfung stand ihr
ins Gesicht geschrieben.
»Kaffee?«, fragte
ich.
»Nein, nein, ich
bin schon nervös genug. Aber einen Kräutertee nehme ich gerne.« Mit einem
leisen Stöhnen löste sie sich von der Wand und schleppte sich zu meinem großen,
alten Eichentisch. An ihren Lippen konnte ich ablesen, dass sie die Stühle
zählte, die um den Tisch standen. »Das reicht auf alle Fälle«, murmelte sie und
krallte die Hände in eine der Stuhllehnen. »So viele werden es nicht.«
»Pardon?«, fragte
ich, stellte ihr den Tee hin und bot ihr einen Platz an einer Ecke des Tisches
an.
»Der
Leichenschmaus. Können Sie das morgen übernehmen? Ich weiß nicht, wie viele
kommen. Schützenbrüder, ein paar Eisenbahnfreunde, Nachbarn, die spärliche
Verwandtschaft. Die Beerdigung ist um ein Uhr. Ginge es danach bei Ihnen?« Sie
sah mich an, als würde sie sofort zusammenbrechen, wenn ich Nein sagte.
Leichenschmaus,
warum nicht? Eine Gefälligkeit würde das Verhandeln über die Pacht bestimmt
erleichtern, nur aufwendig durfte das Ganze nicht sein. »Bis um fünf Uhr ist
das bei uns kein Problem. Streuselkuchen und Schnittchen?«
»Hach, Sie wissen
gar nicht, was Sie mir damit für eine Last abnehmen.« Die schmalen Lippen zogen
sich leicht nach oben, als sie sich umständlich auf den Stuhl setzte.
»Streuselkuchen, ja sicher. Bei den Schnittchen bitte nur Käse, nichts von
toten Tieren.« Sie fingerte sich zittrig den Kaffeelöffel aus der Tasse und
versuchte, den Teebeutel damit auszuwringen. Es gelang ihr erst beim dritten
Mal. »Für mich ist das alles zu viel«, klagte sie. »Die Beerdigung, die ganzen
Anrufe, die ich jetzt machen muss, und dann die Wohnungsauflösung.«
»Sie erben das
Haus?«
»Ja. Und ich weiß
nicht, ob ich mich darüber freuen soll.«
Ohne weiter
darüber nachzudenken, beschloss ich, aufs Ganze zu gehen. »Ich könnte das
Entrümpeln für Sie übernehmen, wenn Sie mir die Wohnung vermieten«, warf ich in
den Ring.
Ecki hatte nicht
Nein gesagt gestern Nacht, und hier galt es, zuzugreifen, bevor der Zug
abgefahren war.
»Ehrlich? Sie
wollen dieses dunkle Loch mieten?« Sie sah mich an, als wollte ich ihr eine
tote Maus abkaufen. Dabei fuhr sie mit der Hand über die Rillen des alten
Eichenholzes. Abgebissene Fingernägel, registrierte ich.
»Vorhänge weg,
Tapeten runter, ein neuer Boden, ein weißer Anstrich, dann ist das eine tolle
Wohnung. Hell und freundlich.«
»Hell und
freundlich.« Der Tonfall war schrill, der Mund wieder ein waagrechter Strich,
die Teetasse umklammerte sie wie einen Rettungsanker. Ein paar hektische kleine
Schlucke, bevor ihre Stimme zur normalen Tonlage zurückkehrte, und sie sagte:
»Vielleicht kann die Wohnung für einen Fremden wirklich mal hell und freundlich
sein.«
»Heißt das, dass
Sie mir die Wohnung vermieten?« Jetzt galt es, Nägel mit Köpfen zu machen.
Natürlich konnte man die Wohnung hell und freundlich herrichten. Ich glaubte
nicht daran, dass sich dunkle Geheimnisse oder schreckliche Erlebnisse in
Wänden festsetzten und sich auf Nachmieter übertrugen. So etwas gab es nur im
Horrorfilm.
Weitere kleine
Schlucke, dann ein nervöser Seufzer. »Im Augenblick ist mir alles zu viel. Da
kann ich nichts entscheiden. Geben Sie mir ein bisschen Zeit.«
Ich tat so, als ob
das kein Problem für mich wäre. »Allerdings miete ich die Wohnung nur, wenn Sie
mir die Pacht für die ›Weiße Lilie‹ verlängern. Ich habe darüber vor ein paar
Tagen mit Ihrem Vater gesprochen. Wir hatten uns auf einen Fünf-Jahres-Vertrag geeinigt.
Leider nur mündlich, schriftlich haben wir das Ganze nicht mehr fixieren
können.«
Kein Gespräch mit
einem Anwalt, keine Erkundigungen bei Irmchen Pütz. Ich konnte nicht anders,
die Versuchung war zu groß, das Pachtproblem mit einem Schlag aus der Welt zu
schaffen.
Sie nickte auf
eine unbestimmte Art und Weise, sodass ich nicht wusste, ob sie mich wirklich
verstanden hatte. Ihr Blick war verschwommen und diffus, die ganze Frau
irgendwie nicht berechenbar.
»Wissen Sie,
eigentlich ist es eine schöne Vorstellung, dass Menschen sich in unserer alten
Wohnung wohlfühlen könnten«, flüsterte sie. »Ja, das könnte mir gefallen. Ich
rede mit meinem Cousin Tommi darüber. Der kennt sich mit Hausverwaltung und
solchen Dingen aus. Aber erst muss ich diese Beerdigung überstehen.«
»Wir kommen
natürlich auch. Ein
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