Himmel un Ääd (German Edition)
wirkte sie nicht
mehr so in Enttäuschung und Groll eingewickelt wie bei unseren anderen Treffen.
»Tommi sagt, ich
sei ein typischer Gutmensch. Er findet es unmöglich, dass ich nicht sofort
verkaufe, nachdem ich ihm erzählt habe, wie Sie sich aufgeführt haben. Aber
Tommi ist einer, der immer recht haben will, und ich hasse es, mir vorschreiben
zu lassen, was ich tue. So allmählich glaube ich sogar, dass ich mich in ihm getäuscht
habe. Dem Jungen, dem ich fast wie eine Mutter war! Seine eigene hatte ja keine
Zeit dafür. Die musste sich selbst verwirklichen. Erst Flower Power, dann
Poona, wenn Ihnen das noch etwas sagt. Formentera hatte es ihr angetan. Dort
ist Tommi auf die Welt gekommen. Von Tommis Vater nicht mal ein Name! Damals
haben die Frauen gedacht, dass es nicht wichtig für die Kinder ist, ihren
Erzeuger zu kennen. Nach Formentera war Indien an der Reihe. In der Zeit hat
Tommi zwei Jahre bei uns gelebt. Bis Hanna mit dieser Pfeife zurückkam und dann
mit ihm und Tommi zurück nach Formentera gezogen ist. Hanna hat sich um sich
selbst gekümmert, und Tommi ist hin und her geschubst worden. Ich habe
Sozialarbeit studiert, ich weiß, was für Sozialkrüppel so entstehen. Damals als
junges Mädchen wusste ich das noch nicht. Ich habe aber instinktiv gespürt,
dass Tommi Liebe und Verlässlichkeit braucht. Und ich habe ihm alles gegeben,
was ich hatte.«
Wenn sie nur
endlich zum Punkt käme und sagen würde, was sie wollte, dachte ich, hielt das
Telefon ein wenig vom Ohr weg und ließ meinen Blick im Zimmer kreisen. Ein
Bett, ein Schrank, ein Schreibtisch. Weiß, funktional und günstig. Mehr Möbel
besaß ich bis heute nicht. Dazwischen ein paar Luxusgegenstände: Die
Bang-&-Olufson-Stereoanlage, ein Quilt in Weiß- und Beigetönen, den ich mir
aus selbst ausgesuchten Stoffen hatte nähen lassen, eine schöne
Moreno-Glasvase, ein venezianischer Spiegel, ein Perserteppich aus Casablanca.
Diese Schätze hatte ich im Laufe der Jahre zusammengetragen, und sie passten
mehr oder weniger bis heute in eine Kiste. Sie hatten mich zu all den Stationen
meines Köchinnenlebens begleitet. Colmar, Paris, Palermo, Wien, Brüssel, Köln.
Mit diesen Sachen hatte ich mir jedes neue Zimmer gemütlich gemacht. Das hatte mir
immer gereicht, nie hatte ich das Bedürfnis nach mehr gehabt. Bis ich die
Wohnung des alten Mombauer zu Gesicht bekam.
Mit einem Mal
schien es mir, als ob mit dieser Wohnung all meine Schwierigkeiten begonnen
hätten. Mit diesem finsteren Loch voll alter Kindertraurigkeit und unzähmbarer
Erinnerungen. Plötzlich kam es mir anmaßend vor, diese Wohnung, in der so viel
Unglück steckte, hell und licht machen zu wollen. Oder gar das Glück
aufzufordern, sich dort mal wieder blicken zu lassen. Diese Wohnung war nicht
gut für mich.
»Frau Mombauer,
haben Sie mich nicht verstanden? Ich werde die Wohnung nicht mieten«,
wiederholte ich.
»Natürlich, das
weiß ich doch«, gurgelte sie. »Das habe ich auch Tommi gesagt. Wissen Sie, mit
der Verlässlichkeit war es natürlich nach dem Umzug nach Spanien schwierig,
unser Kontakt erzwungenermaßen nicht mehr so eng. Aber ich habe Tommi immer in
den Ferien besucht, wir haben telefoniert und uns Postkarten geschrieben. Ich
wünschte so sehr, dass er es mit meiner Unterstützung schafft! Doch die
Vernachlässigung durch die Mutter und deren Laisser-faire in der Erziehung war
schon weit fortgeschritten. Schwierige Schulkarriere, Schlägereien, kleinere
Diebstähle, keine ordentliche Berufsausbildung. Da hat selbst Hanna gemerkt,
dass alles in die falsche Richtung läuft.«
Wenn ich die
Wohnung nicht mietete, würde Frau Mombauer auch den Pachtvertrag für die »Weiße
Lilie« nicht verlängern, das hatte sie mehr als einmal betont. Warum sollte ich
ihrer Geschichte um den missratenen Cousin weiter zuhören? Oder kam die Frau
wirklich noch zu einem Punkt, der etwas mit mir zu tun hatte? Wieder stieg eine
dieser Hitzewellen in mir auf, und ich konnte mich nicht entscheiden.
»Dann hat ihm
Pedro Morales, Besitzer mehrerer Ferienanlagen auf Formentera, einen Job als
Hausmeister angeboten, und Tommi hat seine Sache gut gemacht. Er hat sich zum
Immobilienscout gemausert und kam dann nach Deutschland zurück«, kullerten die
Worte weiter aus ihr heraus. »Ich habe mich gefreut, als er vor ein paar Jahren
nach Köln gezogen ist. Habe gedacht, dass wir als Erwachsene wieder enger
zusammenfinden, aber leider … Eine weitere Enttäuschung in meinem Leben. Muss
ich nach
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