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Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)

Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)

Titel: Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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aufschließen und den Planschpool der Kinder herauszerren. Die Tür drohte zuzuschlagen, und Polly eilte hin, um sie festzuhalten.
    Lionel stand auf, um den Gartenschlauch auszurollen. Sie hätte nicht gedacht, dass er überhaupt wusste, wo der Gartenschlauch war.
    Brendan sagte etwas zu Polly. Bedankte er sich bei ihr? Man hätte meinen können, sie verstünden sich prächtig.
    Wie war das geschehen?
    Es konnte sein, dass Polly jetzt als Person galt, die Beachtung verdiente, da von Lionel akzeptiert. Von Lionel akzeptiert und nicht von Lorna aufgedrängt.
    Oder vielleicht war Brendan einfach glücklicher, weil sie fort gewesen waren. Vielleicht hatte er für eine Weile die Last abgeworfen, seinen Hausstand in Ordnung halten zu müssen. Vielleicht hatte er – völlig zu Recht – gemerkt, dass diese veränderte Polly keine Bedrohung darstellte.
    Eine Szene, so alltäglich und erstaunlich, als sei sie durch Zauberei zustande gekommen. Alle glücklich.
    Brendan war dabei, die Einfassung des Planschpools aufzublasen. Elizabeth hatte sich bis auf ihr Höschen ausgezogen und tanzte ungeduldig herum. Brendan hatte es nicht nötig gefunden, Elizabeth zu sagen, dass sie raufgehen und ihren Badeanzug anziehen sollte, dass Höschen sich nicht schickten. Lionel hatte das Wasser angestellt, und bis es für den Pool gebraucht wurde, stand er da und bewässerte die Kapuzinerkresse, wie ein ganz normaler Hausbesitzer. Polly sagte etwas zu Brendan, und er kniff den Stutzen zu, in den er gepustet hatte, und überließ ihr den halb aufgeblasenen Plastikhaufen.
    Lorna erinnerte sich, dass es Polly gewesen war, die am Strand den Delphin aufgeblasen hatte. Sie sei gut bei Puste, hatte sie gesagt. Sie blies gleichmäßig, ohne jeden Anschein von Anstrengung. Sie stand in ihren Shorts da, die nackten Beine fest aufgepflanzt, die Haut schimmernd wie Birkenrinde. Und Lionel sah ihr zu. Genau das, was ich brauche, dachte er vielleicht. So eine tüchtige und vernünftige Frau, anschmiegsam, aber fest. Jemand, nicht eingebildet oder verträumt oder unzufrieden. Gut möglich, dass sie die Frau war, die er eines Tages heiraten würde. Eine Ehefrau, die das Heft in die Hand nehmen konnte. Dann würde er sich abermals verändern, sich vielleicht auf seine Weise in eine andere Frau verlieben, aber die Ehefrau würde zu beschäftigt sein, um es zu merken.
    Das konnte geschehen. Polly und Lionel. Oder auch nicht. Möglich, dass Polly wie geplant heimfuhr, und falls sie das tat, würde es keine gebrochenen Herzen geben. Zumindest dachte Lorna das. Polly würde heiraten oder auch nicht, aber wie es auch kam, die Dinge, die mit Männern zu tun hatten, würden ihr nicht das Herz brechen.
    Bald war die Einfassung des Pools aufgeplustert und glatt. Der Pool wurde auf dem Rasen ausgebreitet, der Gartenschlauch hineingelegt, und Elizabeth ließ sich die Füße bespritzen. Sie sah zu Lorna hoch, als hätte sie die ganze Zeit über gewusst, dass Lorna da oben war.
    »Es ist kalt«, schrie sie verzückt. »Mami – es ist kalt.«
    Jetzt sah auch Brendan zu Lorna hoch.
    »Was machst du denn da oben?«
    »Auspacken.«
    »Das muss doch nicht jetzt sein. Komm nach draußen.«
    »Ja. Gleich.«
     
    Seit Lorna das Haus betreten hatte – eigentlich sogar, seit sie begriffen hatte, dass die Stimmen, die sie hörte, aus ihrem eigenen Garten kamen und die von Polly und Lionel waren –, hatte sie nicht mehr an das Bild gedacht, das ihr Meile um Meile vor Augen gewesen war, das Bild von Polly, erhängt an der Hintertür. Sie wurde jetzt davon überrascht, wie man manchmal, lange nach dem Aufwachen, von der Erinnerung an einen Traum überrascht wird. Es hatte die Kraft und das Beschämende eines Traums. Auch dessen Sinnlosigkeit.
    Nicht im selben Moment, sondern ein wenig verzögert kam die Erinnerung an ihren Tauschhandel. Ihre unklare, primitive, neurotische Vorstellung von einem Tauschhandel.
    Aber was hatte sie noch gleich versprochen?
    Nichts, was mit den Kindern zu tun hatte.
    Etwas, das mit ihr selbst zu tun hatte?
    Sie hatte versprochen, dass sie tun würde, was immer ihr auferlegt wurde, sobald sie erkannt hatte, was es war.
    Das war Drückebergerei, ein Tauschhandel, der keiner war, ein Versprechen, das keinerlei Bedeutung hatte.
    Trotzdem probierte sie verschiedene Möglichkeiten aus. Fast, als gestaltete sie diese Geschichte, um sie jemandem zu erzählen, nicht mehr Lionel, sondern irgendjemandem, zur Unterhaltung.
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    Pflegekinder

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