Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)
und es war Tradition, dass die Studenten der Technischen und der Philosophischen Fakultät sich gegenseitig verachteten. Aber in den Jahren danach war die Freundschaft bis zu einem gewissen Grad wiederbelebt worden. Jonas, der nicht verheiratet war, besuchte Pierre und Meriel und blieb manchmal eine ganze Woche lang.
Beide jungen Männer waren überrascht, welche Wendungen ihr Leben genommen hatte, und sie machten darüber Witze. Jonas war derjenige, dessen Berufswahl für seine Eltern so beruhigend gewesen war und bei Pierres Eltern stummen Neid geweckt hatte, doch es war Pierre, der geheiratet und Arbeit als Lehrer gefunden und die üblichen Pflichten auf sich genommen hatte, während Jonas sich nach der Universität nie auf eine Frau oder eine feste Stelle eingelassen hatte. Er war gewissermaßen immer auf Probezeit, die nie in eine Anstellung bei einer Firma mündete, und die Frauen – zumindest, wenn man ihn darüber reden hörte – waren bei ihm auch nur auf Probezeit. Seine letzte Arbeit hatte ihn in den Norden der Provinz geführt, und er blieb dort, nachdem er gegangen oder gegangen worden war. »Beschäftigungsverhältnis in beiderseitigem Einverständnis gelöst«, schrieb er Pierre und fügte hinzu, dass er in einem Hotel wohnte, in dem alle feinen Pinkel abstiegen, und vielleicht Arbeit bei einer Holzfällerkolonne bekam. Er nahm auch Flugunterricht und dachte daran, Buschpilot zu werden und abgelegene Siedlungen zu versorgen. Er versprach, zu Besuch zu kommen, sobald sich seine gegenwärtigen finanziellen Probleme geklärt hätten.
Meriel hatte gehofft, dass das nicht eintrat. Jonas schlief auf der Couch im Wohnzimmer und warf morgens das Bettzeug auf den Fußboden, und sie musste es aufheben. Er hielt Pierre die halbe Nacht lang wach mit Gequatsche über Dinge, die sich ereignet hatten, als sie Halbwüchsige waren oder noch jünger. Pierre redete er mit Pissbär an, ein Spitzname aus dieser Zeit, und die anderen alten Freunde nannte er Stinkteich oder Doc oder Buster, nie bei den Namen, die Meriel immer gehört hatte – Stan oder Don oder Rick. Er erinnerte sich mit barscher Pedanterie an die Einzelheiten von Vorfällen, die Meriel nicht sonderlich bemerkenswert oder komisch fand (die Tüte mit Hundekacke, die sie vor der Haustür des Lehrers angezündet hatten, die Hetzjagd auf den alten Mann, der Jungen fünf Cent dafür bot, dass sie die Hose runterließen), und wurde gereizt, wenn sich die Unterhaltung der Gegenwart zuwandte.
Als sie Pierre sagen musste, dass Jonas tot war, war sie betreten und erschüttert. Betreten, weil sie Jonas nicht gemocht hatte, und erschüttert, weil er der Erste aus ihrem Freundeskreis, ihrer Altersgruppe war, der den Tod gefunden hatte. Aber Pierre schien nicht überrascht oder sonderlich getroffen zu sein.
»Selbstmord«, sagte er.
Nein, sagte sie, ein Unfall. Er fuhr Motorrad, nach Einbruch der Dunkelheit, auf Schotter, und kam von der Straße ab. Jemand fand ihn oder war bei ihm, Hilfe war zur Stelle, aber er starb innerhalb einer Stunde. Seine Verletzungen waren tödlich.
Das war, was seine Mutter am Telefon gesagt hatte.
Seine Verletzungen waren tödlich.
Sie hatte sich angehört, als hätte sie sich schnell damit abgefunden, wäre nicht weiter überrascht. Wie Pierre, als er sagte: »Selbstmord.«
Danach hatten Pierre und Meriel kaum über Jonas’ Tod gesprochen, nur über die Beerdigung, das Hotelzimmer, einen Babysitter, der über Nacht blieb. Sein Anzug musste gereinigt, ein weißes Hemd besorgt werden. Es war Meriel, die sämtliche Vorkehrungen traf, und Pierre überprüfte alles in hausherrlicher Manier. Sie begriff, dass er von ihr verlangte, so beherrscht und sachlich zu bleiben, wie er es war, und keinen Anspruch auf Trauer zu erheben, die sie – da wäre er sicher – gar nicht wirklich empfand. Sie hatte ihn gefragt, warum er »Selbstmord« gesagt hatte, und er hatte ihr geantwortet: »Das kam mir einfach in den Sinn.« Sie empfand diese ausweichende Antwort als eine Art Warnung oder sogar Zurechtweisung. Als hätte er sie im Verdacht, dem Tod von Jonas – oder ihrer Nähe zu seinem Tod – ein Gefühl abgewinnen zu wollen, das ungehörig und egoistisch war. Eine morbide, sich weidende Erregung.
Junge Ehemänner waren zu der Zeit streng. Erst kurz zuvor waren sie Anbeter gewesen, fast Spottfiguren, X-beinig und verzweifelt in ihren sexuellen Nöten. Jetzt, im gemachten Bett, wurden sie resolut und missbilligten vieles. Jeden Tag fort
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