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Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)

Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)

Titel: Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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Bill, und wer von uns morgens zuerst aufstand, nahm ihn sich. Keine Ahnung, woher er stammte.
    »Vielleicht von einem Freund von Bet, bevor sie deinen Vater geheiratet hat«, hatte Queenie gesagt. »Aber kein Wort, sonst bringt sie mich um.«
    Ihr Bett war leer, und sie war nicht im Badezimmer. Ich ging die Treppe hinunter, ohne Licht zu machen, da ich Bet nicht wecken wollte. Ich sah zu dem kleinen Fenster in der Haustür hinaus. Die Fliesen, der Bürgersteig und der Rasen im Vorgarten, alles glitzerte von Raureif. Der Schnee ließ auf sich warten. Ich drehte den Thermostat in der Diele hoch, und die Heizung sprang im Dunkeln an, mit ihrem verlässlichen Gebrumm. Wir hatten gerade erst Ölheizung bekommen, und mein Vater sagte, dass er immer noch jeden Morgen um fünf Uhr wach werde und denke, es sei Zeit, in den Keller zu gehen und Feuer zu machen.
    Mein Vater schlief in der ehemaligen Speisekammer, neben der Küche. Da hatte er ein Eisenbett und einen Stuhl mit abgebrochener Lehne, auf dem sich alte
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stapelten, in denen er las, wenn er nicht schlafen konnte. Die Deckenlampe knipste er mit einer Schnur an und aus, die am Bettgestell angebunden war. Diese Anordnung kam mir für den Mann im Haus, den Vater, ganz natürlich und richtig vor. Er sollte wie ein Wachposten unter einer groben Decke schlafen und einen unhäuslichen Geruch nach Maschinen und Tabak an sich haben. Lesend und wachend bis spät in die Nacht und selbst im Schlaf noch auf dem Quivive.
    Trotz alledem hatte er Queenie nicht gehört. Er sagte, sie müsse irgendwo im Haus sein. »Hast du im Badezimmer nachgesehen?«
    Ich sagte: »Da ist sie nicht.«
    »Vielleicht bei ihrer Mutter. Weil die wieder ihre Zustände hat.«
    Mein Vater nannte es ihre Zustände, wenn Bet aus einem Albtraum aufwachte oder halb wach hochschreckte. Dann kam sie aus ihrem Zimmer gestolpert, unfähig zu sagen, was sie erschreckt hatte, und ließ sich nur von Queenie ins Bett zurück führen. Queenie kuschelte sich dann immer an ihren Rücken und machte beruhigende Geräusche, die sich anhörten wie ein kleiner Hund, der Milch schlabbert, und am Morgen konnte Bet sich an nichts erinnern.
    Ich knipste die Küchenlampe an.
    »Ich wollte sie nicht wecken«, sagte ich. »Bet.«
    Ich sah zu dem angerosteten Brotkasten, der zu oft mit dem Spüllappen abgewischt worden war, und zu den Töpfen, die auf dem Herd standen, abgewaschen, aber nicht weggeräumt, und zu dem von der Fairholme-Molkerei gespendeten Sinnspruch:
Der Herr ist das Herz unseres Hauses.
All diese Dinge, die stumpfsinnig darauf warteten, dass der Tag begann, und nicht wussten, dass er von einer Katastrophe ausgehöhlt worden war.
    Die Tür zur Seitenveranda war aufgeschlossen worden.
    »Jemand ist reingekommen«, sagte ich. »Jemand ist reingekommen und hat Queenie geholt.«
    Mein Vater kam nur mit einer Hose über seiner langen Unterwäsche heraus. Bet schlappte in Pantoffeln und ihrem Chenille-Morgenrock die Treppe herunter und machte dabei überall das Licht an.
    »Queenie nicht bei dir?«, fragte mein Vater. Zu mir sagte er: »Die Tür muss von innen aufgeschlossen worden sein.«
    Bet fragte: »Was ist mit Queenie?«
    »Vielleicht war ihr einfach nach einem Spaziergang«, sagte mein Vater.
    Bet beachtete das gar nicht. Sie hatte eine Maske aus getrocknetem rosa Zeug auf dem Gesicht. Sie war Vertreterin für Kosmetika und verkaufte nie ein Produkt, das sie nicht an sich selbst ausprobiert hatte.
    »Geh rüber zu den Vorguillas«, sagte sie zu mir. »Vielleicht ist ihr was eingefallen, was sie drüben zu machen hat.«
    Das war ungefähr eine Woche nach Mrs Vorguillas Beerdigung, aber Queenie hatte weiter dort gearbeitet und geholfen, Geschirr und Wäsche in Kisten zu packen, damit Mr Vorguilla in eine Wohnung umziehen konnte. Er musste die Weihnachtskonzerte in der Schule vorbereiten und konnte nicht alles selbst einpacken. Bet wollte, dass Queenie sofort aufhörte, damit sie in einem Geschäft Arbeit als Weihnachtsaushilfe fand.
    Ich zog die Gummistiefel meines Vaters an, die an der Tür standen, statt nach oben zu laufen und meine Schuhe zu holen. Ich stolperte durch den Garten zur Veranda der Vorguillas und drückte auf die Klingel. Ein Glockenspiel erklang und verkündete gleichsam die Musikalität des Haushalts. Ich raffte Buffalo Bill fest um mich und betete. Bitte, Queenie, bitte, mach das Licht an. Ich bedachte nicht, dass das Licht schon an gewesen wäre, wenn Queenie im Haus gearbeitet

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