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Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)

Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)

Titel: Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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Literatur zu lehren, fanden sich in seinen Kursen die üblichen Studenten ein. Aber nach ein paar Jahren fiel ihm eine Veränderung auf. Verheiratete Frauen kehrten in den Hörsaal zurück. Nicht mit dem Vorsatz, sich für einen besseren Arbeitsplatz oder überhaupt für einen Arbeitsplatz zu qualifizieren, sondern einfach, um sich mit etwas Interessanterem als ihrer Hausarbeit und ihren Hobbys zu beschäftigen. Um ihr Leben zu bereichern. Und vielleicht folgte daraus ganz natürlich, dass die Männer, die ihnen diese Dinge beibrachten, Teil der Bereicherung wurden, dass diese Männer ihnen geheimnisvoller und begehrenswerter erschienen als die Männer, mit denen sie immer noch Tisch und Bett teilten.
    Als Studienfächer wurden meistens Psychologie oder Kulturgeschichte oder Englische Literatur gewählt. Archäologie oder Linguistik wurden manchmal ausgesucht, aber fallen gelassen, sobald sie sich als vertrackt erwiesen. Die, die sich für Grants Kurse einschrieben, mochten einen skandinavischen Hintergrund haben wie Fiona oder sie mochten bei Wagner oder in historischen Romanen etwas über altnordische Mythologie erfahren haben. Es gab auch ein paar, die dachten, er unterrichte eine keltische Sprache, und für die alles Keltische einen mystischen Zauber besaß.
    Mit solchen Hörerinnen sprach er von seiner Seite des Pultes aus recht ungnädig.
    »Wenn Sie eine hübsche Sprache erlernen wollen, lernen Sie Spanisch. Das können Sie dann anwenden, wenn Sie nach Mexiko fahren.«
    Manche nahmen die Warnung an und blieben fort. Andere schienen sich von seinem forschen Ton persönlich angesprochen zu fühlen. Sie arbeiteten mit Feuereifer und brachten in seine Sprechstunde, in sein geregeltes, zufrieden stellendes Leben, die große überraschende Blume ihrer reifen weiblichen Willigkeit, ihrer bebenden Hoffnung auf Anerkennung.
    Er wählte die Frau, die Jacqui Adams hieß. Sie war das Gegenteil von Fiona – klein, pummelig, dunkeläugig und überschwänglich. Ironie war ihr fremd. Die Affäre dauerte ein Jahr, dann wurde ihr Mann versetzt. Als sie sich in ihrem Auto voneinander verabschiedeten, zitterte sie unkontrollierbar. Es war, als litte sie an Unterkühlung. Sie schrieb ihm ein paar Mal, aber er fand den Stil ihrer Briefe gestelzt und konnte sich nicht entscheiden, wie er antworten sollte. Er ließ die Frist für eine Antwort verstreichen, gleichzeitig fing er märchenhafter- und unerwarteterweise etwas mit einem Mädchen an, das jung genug war, um ihre Tochter zu sein.
    Denn eine weitere und noch schwindelerregendere Entwicklung hatte stattgefunden, während er mit Jacqui zugange war. Junge Mädchen mit langen Haaren und mit Sandalen an den bloßen Füßen kamen in seine Sprechstunde und erklärten sich nahezu unverhohlen zu Sex bereit. Die behutsamen Annäherungsversuche, die zarten Gefühlsandeutungen, die bei Jacqui erforderlich gewesen waren, konnte er sich an den Hut stecken. Ein Wirbelsturm erfasste ihn, wie so viele andere auch, der Wunsch wurde so unversehens Wirklichkeit, dass er sich fragte, ob nicht etwas fehlte. Aber wer hatte schon Zeit für Gewissensbisse? Er hörte von mehreren gleichzeitigen Liebschaften, von bösen und riskanten Zusammentreffen. Skandale explodierten spektakulär, mit dramatischen Folgen ringsum, aber irgendwie mit dem Gefühl, dass es besser so war. Es gab Disziplinarmaßnahmen – es gab Entlassungen. Aber die Entlassenen gingen fort, um an kleineren, toleranteren Colleges oder Fernhochschulen zu unterrichten, und viele der verlassenen Ehefrauen überwanden den Schock und machten sich die Kostümierungen und die sexuelle Verfügbarkeit der Mädchen zu Eigen, die ihre Männer in Versuchung gebracht hatten. Akademische Partys, die sich früher in festen Bahnen bewegt hatten, wurden zu Minenfeldern. Eine Epidemie war ausgebrochen und griff um sich wie die Spanische Grippe. Nur dass diesmal die Menschen nach der Ansteckung lechzten und dass wenige zwischen sechzehn und sechzig davon verschont werden wollten.
    Fiona jedoch schien fest gewillt, davon verschont zu bleiben. Ihre Mutter lag im Sterben, und ihre Erlebnisse im Krankenhaus führten sie von ihrer Routinearbeit in der Universitätsverwaltung zu ihrer neuen Tätigkeit. Grant selbst erlitt keinen Schiffbruch, zumindest nicht im Vergleich zu einigen seiner Kollegen. Er ließ keine Frau mehr so nah an sich heran wie Jacqui. Was er empfand, war hauptsächlich eine gewaltige Steigerung seines Wohlbefindens. Eine Neigung zur

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