Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)
vortäuschen sollten und hellblau angestrichen waren. Neonröhren, die nicht brannten, bildeten über dem Eingang das Wort HOTEL .
»Ich bin zu blöd«, sagte sie und bot dem Mann für die Fahrt einen Dollar an.
Er lachte. »Halten Sie Ihr Geld zusammen. Man weiß nie, vielleicht brauchen Sie’s noch mal.«
Ein ganz ordentlicher Wagen, ein Plymouth, stand vor dem Hotel. Er war völlig verdreckt, aber wie sollte das auch anders sein, bei diesen Straßen?
An der Tür hingen Reklameschilder für eine Zigarettenmarke und für Bier. Sie wartete, bis der Pick-up gewendet hatte, bevor sie anklopfte – sie klopfte an, denn man schien hier überhaupt nicht auf Gäste eingestellt zu sein. Schließlich drückte sie auf die Klinke, ob nicht doch auf war, und gelangte in einen staubigen kleinen Vorraum mit einer Treppe und dann in einen großen dunklen Raum voll abgestandenem Bierdunst, in dem auf dem schmutzigen Fußboden ein Billardtisch stand. In einem Nebenraum sah sie einen Spiegel schimmern, leere Regale, einen Tresen. Überall waren die Rollläden heruntergezogen. Das einzige Licht kam aus zwei kleinen runden Fenstern, die in eine Schwingtür eingelassen waren. Sie ging hindurch in eine Küche. In der war es heller, dank einer Reihe hoher – und schmutziger – Fenster in der einen Wand. Und hier fanden sich die ersten Lebenszeichen – jemand hatte am Tisch gegessen und einen Teller mit verkrustetem Ketchup und eine Tasse halb voll mit: kaltem Kaffee hinterlassen.
Eine der Küchentüren führte nach draußen und war abgeschlossen, eine in die Speisekammer, in der mehrere Konservendosen standen, eine in eine Besenkammer und eine zu einer zweiten Treppe. Sie stieg hinauf und stieß ihren Koffer vor sich her, denn die Treppe war schmal. Direkt vor sich im ersten Stock sah sie eine Toilette mit hochgeklappter Brille.
Die Tür zum Schlafzimmer am Ende des Flurs stand offen, und darin fand sie Ken Boudreau.
Bevor sie ihn sah, sah sie seine Sachen. Auf der Türkante hing sein Jackett, und am Türknauf hing seine Hose, so dass sie auf dem Boden schleifte. Ihr schoss sofort durch den Kopf, dass man so nicht mit guter Kleidung umging, also betrat sie kühn das Zimmer – ihren Koffer ließ sie auf dem Flur stehen – mit dem Gedanken, die Sachen ordentlich aufzuhängen.
Er lag im Bett, nur mit dem Überlaken zugedeckt. Die Decke und sein Hemd lagen auf dem Fußboden. Er atmete unruhig, als wäre er kurz vor dem Aufwachen, also sagte sie: »Guten Morgen. Guten Tag.«
Das grelle Sonnenlicht strömte durchs Fenster und fiel beinahe auf sein Gesicht. Das Fenster war zu und die Luft entsetzlich abgestanden – sie stank unter anderem nach dem vollen Aschbecher auf dem Stuhl, den er als Nachttisch benutzte.
Er hatte schlechte Angewohnheiten – er rauchte im Bett.
Er wachte von ihrer Begrüßung nicht auf – oder nur ein wenig. Er fing an zu husten.
Sie merkte gleich, das war ein schwerer Husten, der Husten eines Kranken. Er versuchte sich aufzurichten, immer noch mit geschlossenen Augen, und sie ging zum Bett und half ihm. Sie sah sich nach einem Taschentuch oder nach Kleenex um, fand aber nichts und hob sein Hemd auf, das sie danach auswaschen konnte. Sie wollte sich seinen Auswurf genau ansehen.
Als er abgehustet hatte, sank er murmelnd zurück und keuchte, das hübsche, draufgängerische Gesicht, das sie in Erinnerung hatte, zu einer angewiderten Grimasse verzogen. Er hatte Fieber, so, wie er sich anfühlte.
Das Zeug, das er ausgehustet hatte, war gelb-grünlich – ohne Rostflecke. Sie brachte das Hemd zum Toilettenwaschbecken, wo sie zu ihrer Überraschung ein Stück Seife fand, und wusch es aus und hängte es an den Türhaken, danach wusch sie sich gründlich die Hände. Sie musste sich am Rock ihres neuen braunen Kleides abtrocknen. Das hatte sie erst vor ein paar Stunden in einer anderen kleinen Toilette angezogen – der Damentoilette im Zug. Sie hatte sich dabei gefragt, ob sie sich nicht besser auch Make-up besorgt hätte.
Im Flurschrank fand sie eine Rolle Toilettenpapier und nahm sie mit in sein Zimmer für den nächsten Hustenanfall. Sie hob die Decke auf und deckte ihn gut zu, zog die Jalousie bis zum Fensterbrett herunter, schob das klemmende Fenster ein paar Zentimeter hoch und arretierte es mit dem Aschbecher, den sie geleert hatte. Dann zog sie sich draußen auf dem Flur um, schlüpfte aus dem braunen Kleid in alte Sachen aus ihrem Koffer. Was nützten ihr jetzt ein hübsches Kleid oder
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