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Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)

Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)

Titel: Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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offen. Sie zu schließen könnte ihn kränken. Außerdem fühlte sie sich zu schwach.
    »Er hatte mächtig Appetit auf das Chili.«
    Von wem redete er?
    Von Neal.
    Sie zitterte und schwitzte, und in ihrem Kopf sirrte es, als sei zwischen ihren Ohren ein Draht gespannt.
    »Ich könnte Ihnen was davon rausbringen, wenn Sie möchten.«
    Sie schüttelte lächelnd den Kopf. Er hielt die Bierflasche in seiner Hand hoch – er schien vor ihr zu salutieren.
    »Was zu trinken?«
    Sie schüttelte wieder den Kopf, immer noch lächelnd.
    »Nicht mal einen Schluck Wasser? Wir haben hier gutes Wasser.«
    »Nein, danke.«
    Sie durfte sich nicht zu ihm umdrehen, denn wenn sie seinen violetten Bauchnabel sah, würde ihr alles hochkommen.
    »Wissen Sie, da war mal so ein Bursche«, sagte er in verändertem Tonfall. Gemütlich, humorig. »Also dieser Bursche ging zur Tür raus, in der einen Hand hat er ein paar Schoten Pferdebohnen. Sagt sein Vater zu ihm: Wo willst du denn mit den Pferdebohnen hin?
    Mir ein Pferd holen, sagt er.
    Mit Pferdebohnen wirst du nie im Leben ein Pferd fangen.
    Nächsten Morgen kommt er mit dem schönsten Pferd zurück, das man sich vorstellen kann. Da sieh mal, mein Pferd. Und bringt’s in den Stall.«
    Ich möchte nicht, dass Sie einen falschen Eindruck bekommen. Wir dürfen nicht zu optimistisch sein. Aber es sieht ganz so aus, als hätten wir hier einige unerwartete Resultate.
    »Nächsten Tag sieht der Vater ihn wieder rausgehen. Mit einer Schüssel Entengrütze unterm Arm. Wo willst du jetzt wieder hin?
    Mama hat doch gesagt, sie will einen leckeren Entenbraten.
    Du blöder Hammel, du glaubst doch nicht, dass du eine Ente mit Entengrütze fängst?
    Wart’s ab.
    Nächsten Morgen kommt er mit einer schönen fetten Ente unterm Arm zurück.«
    Es sieht so aus, als wäre das Wachstum deutlich zurückgegangen. Worauf wir natürlich gehofft haben, was wir aber offen gestanden nicht erwartet haben. Und ich meine damit nicht, dass die Schlacht gewonnen ist, nur, es ist ein gutes Zeichen.
    »Paps wusste nicht, was er sagen sollte. Was sagt man bloß dazu!
    Nächsten Abend, gleich nächsten Abend sieht er seinen Sohn mit einem großen Büschel Farn in der Hand zur Tür rausgehen.«
    Ein sehr gutes Zeichen. Wir wissen nicht, ob in Zukunft weitere Probleme auftreten werden, aber wir können sagen, dass wir mit aller Vorsicht optimistisch sind.
    »Was hast du da für Farn in der Hand?
    Das ist Frauenfarn.
    Gut, sagt Paps. Warte einen Moment.
    Warte einen Moment, ich hol bloß meinen Hut. Ich hol meinen Hut und komm mit!«
    »Das ist zu viel«, sagte Jinny laut.
    Und redete in Gedanken mit dem Arzt.
    »Was?«, sagte Matt. Ein gekränkter, kindlicher Ausdruck machte sich auf seinem Gesicht breit, obwohl er immer noch in sich hineinlachte. »Was ist denn jetzt los?«
    Jinny schüttelte den Kopf und hielt sich die Hand vor den Mund.
    »Das war doch bloß ein Witz«, sagte er. »Ich wollte Sie nicht beleidigen.«
    Jinny sagte: »Nein, nein. Ich … Nein.«
    »Na, ich geh wieder rein. Werd Ihre Zeit nicht länger in Anspruch nehmen.« Und er kehrte ihr den Rücken zu, rief nicht einmal die Hunde zu sich.
    Dabei hatte sie das zu dem Arzt gar nicht gesagt. Warum auch? Er konnte ja nichts dafür. Aber es stimmte. Es war zu viel. Was er gesagt hatte, machte alles noch schwerer. Es zwang sie, umzukehren und dieses Jahr von vorn zu beginnen. Es nahm ihr eine gewisse geringfügige Freiheit. Eine trübe, schützende Membran, die sie gar nicht bemerkt hatte, war weggezogen worden und ließ sie wund zurück.
     
    Matts Annahme, sie sei ins Maisfeld gegangen, um auszutreten, brachte sie darauf, dass sie wirklich austreten musste. Sie stieg aus dem Transporter, probierte zu stehen, stellte sich dann breitbeinig hin und hob ihren weiten Baumwollrock an. Sie war in diesem Sommer dazu übergegangen, weite lange Röcke und keinen Slip zu tragen, weil sie ihre Blase nicht mehr völlig unter Kontrolle hatte.
    Ein dunkles Rinnsal rieselte von ihr fort durch den Kies. Die Sonne stand jetzt tief, es wurde Abend. Ein klarer Himmel wölbte sich, die Wolken waren verschwunden.
    Einer der Hunde bellte halbherzig, um zu sagen, dass jemand kam, aber es war jemand, den sie kannten. Sie waren nicht gekommen, um sie anzukläffen – sie hatten sich inzwischen an sie gewöhnt. Ohne Lärm zu schlagen oder sich aufzuregen, rannten sie jetzt dem Neuankömmling entgegen.
    Es war ein Junge oder junger Mann auf einem Fahrrad. Er kurvte auf den

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