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Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)

Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)

Titel: Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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und ihm was vorzuschwatzen«, sagte sie. »Sie müssen sich zur Abwechslung auch mal hinsetzen und jemand anders zuhören können, der
ihnen
was erzählt«), aber dann wurde beschlossen, dass es interessanter wäre, auch Nichtlehrer dazu einzuladen. Das Ganze sollte in Margarets Haus stattfinden, im Anschluss an ein Abendessen mit Wein, zu dem alle etwas beitrugen.
    So kam es, dass Nina an einem kalten, klaren Abend draußen vor Margarets Küche stand, in dem dunklen Vorraum mit den Mänteln und Schultaschen und Hockeyschlägern von Margarets Söhnen – das war, als alle noch zu Hause wohnten. Im Wohnzimmer – von dem kein Geräusch mehr zu ihr drang – redete Kitty Shore über das von ihr gewählte Thema, nämlich Heilige. Kitty und Ed Shore gehörten zu den »einfachen Leuten«, die auch eingeladen waren – außerdem waren sie Margarets Nachbarn. Ed hatte schon an einem anderen Abend einen Vortrag gehalten, über das Bergsteigen. Er war selbst in den Rockies herumgeklettert, aber er hatte hauptsächlich von den waghalsigen und tragischen Expeditionen berichtet, die seine Lieblingslektüre bildeten. (Margaret hatte, als sie an dem Abend den Kaffee holten, zu Nina gesagt: »Ich war schon ein bisschen in Sorge, ob er etwa übers Einbalsamieren redet«, und Nina hatte gekichert und gesagt: »Aber das ist nicht seine Lieblingsbeschäftigung. Das ist kein Hobby. Ich glaube nicht, dass es viele Hobbyeinbalsamierer gibt.«)
    Ed und Kitty waren ein gut aussehendes Paar. Margaret und Nina hatten sich im Vertrauen darauf geeinigt, dass viele Frauen für Ed schwärmen würden, wenn nicht sein Beruf wäre. Die sauber gewaschene Blässe seiner langen, kräftigen Hände war außergewöhnlich und brachte einen auf den Gedanken: Wo sind diese Hände gewesen? Die kurvenreiche Kitty wurde oft ein Schatz genannt – sie war eine kleine, vollbusige, warmäugige Brünette mit einer Stimme voll hauchiger Begeisterung. Begeisterung für ihre Ehe, ihre Kinder, die Jahreszeiten, die Stadt und besonders für ihre Religion. In der anglikanischen Kirche, der sie angehörte, war solche Begeisterung ungewöhnlich, und es gab Gerüchte, dass sie der Gemeinde ziemlich auf die Nerven fiel mit ihrer Strenge und Überspanntheit und ihrem Hang zu obskuren Zeremonien wie Dankgottesdiensten für Wöchnerinnen. Nina und Margaret fanden sie auch schwer zu ertragen, und Lewis hielt sie für eine Pest. Aber die meisten Leute waren von ihr hingerissen.
    An jenem Abend trug sie ein dunkelrotes Wollkleid und Ohrringe, die ihr eines ihrer Kinder zu Weihnachten gebastelt hatte. Sie saß mit angezogenen Beinen in einer Sofaecke. Solange sie sich an die historischen und geographischen Gegebenheiten von Heiligen hielt, ging es noch an – das heißt, für Nina, die hoffte, dass Lewis es nicht notwendig fand, zum Angriff überzugehen.
    Kitty sagte, sie sei gezwungen, alle Heiligen Osteuropas auszulassen und sich hauptsächlich auf die Heiligen der Britischen Inseln zu konzentrieren, insbesondere auf die von Cornwall und Wales und Irland, die keltischen Heiligen mit den wunderbaren Namen, ihre Lieblinge. Als sie auf die Wunder und die Heilungen zu sprechen kam, und schon gar, als ihre Stimme immer freudiger und zuversichtlicher wurde und ihre Ohrringe klimperten, schwante Nina Böses. Sie wisse, dass man sie für frivol halten könne, sagte Kitty, wenn sie sich an einen Heiligen wende, nur weil ihr beim Kochen ein Malheur passiert sei, aber sie glaube fest, dass Heilige genau dafür da seien. Sie seien nicht zu erhaben, um an all den Sorgen und Kümmernissen Anteil zu nehmen, den Alltäglichkeiten unseres Lebens, mit denen wir den Herrn des Weltalls nicht zu behelligen wagten. Mit Hilfe der Heiligen könne man teilweise in einer Kinderwelt bleiben, mit einer Kinderhoffnung auf Hilfe und Trost.
Ihr müsset werden wie die Kinder.
Und es seien die kleinen Wunder – gerade die kleinen Wunder seien es doch, die uns auf die großen vorbereiteten?
    So. Irgendwelche Fragen?
    Jemand erkundigte sich nach dem Stellenwert der Heiligen in der anglikanischen Kirche. Einer protestantischen Kirche.
    »Also genau genommen halte ich die anglikanische Kirche nicht für eine protestantische Kirche«, sagte Kitty. »Aber ich will nicht weiter darauf eingehen. Wenn wir im Glaubensbekenntnis sagen: ›Ich glaube an die heilige katholische Kirche‹, dann ist damit in meinen Augen die gesamte christliche Kirche gemeint. Und weiter sagen wir: ›Ich glaube an die Gemeinschaft der

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