Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)
oder ob er einfach weiterarbeitete. Der Regen lief an den Fenstern des Führerhauses herunter und trommelte auf das Dach wie Steine. Es roch nach Männern – nach Arbeitskleidung und Werkzeug und Tabak und schmutzigen Stiefeln und käsigen Socken. Außerdem nach nassem, langhaarigem Hund, denn wir hatten Ranger mit hineingenommen. Ranger gehörte für mich dazu, und ich war es gewohnt, dass er mir hinterhertrottete, und manchmal befahl ich ihm aus keinem besonderen Grund, zu Hause zu bleiben, in der Scheune zu verschwinden, mich in Ruhe zu lassen. Aber Mike mochte ihn und redete ihn immer freundlich und mit Namen an, erzählte ihm, was wir vorhatten, und wartete auf ihn, wenn er einem seiner Hundeträume nachging und ein Murmeltier oder ein Kaninchen jagte. Bei dem Leben mit seinem Vater kam für Mike ein eigener Hund nicht in Frage.
Eines Tages, als wir mit Ranger unterwegs waren, jagte er ein Stinktier, und das Stinktier drehte sich um und bespritzte ihn. Mike und ich wurden dafür mitverantwortlich gemacht. Meine Mutter musste unterbrechen, was sie gerade tat, in die Stadt fahren und etliche große Dosen Tomatensaft besorgen. Mike überredete Ranger, in die Badewanne zu klettern, und wir übergossen ihn mit Tomatensaft und bürsteten das rote Zeug in sein Fell ein. Er sah aus, als wüschen wir ihn mit Blut. Wie viele Menschen wären erforderlich für so viel Blut, überlegten wir. Wie viele Pferde? Oder Elefanten?
Ich hatte mehr Erfahrung mit Blut und dem Töten von Tieren als Mike. Ich führte ihn zu der Ecke der Viehweide gleich beim Hoftor, wo mein Vater die Pferde erschoss und schlachtete, die an die Füchse und Nerze verfüttert wurden. Der Boden war kahlgetrampelt und schien einen tiefen Blutfleck zu haben, einen rostroten Farbton. Dann führte ich ihn zum Fleischhaus im Hof, wo die Pferdekadaver hingen, bevor sie zu Futter zerkleinert wurden. Das Fleischhaus war nichts als ein Schuppen mit Drahtwänden, und diese Wände waren schwarz von Fliegen, die sich am Aasgestank berauschten. Wir suchten uns Schindeln und quetschten sie tot.
Unsere Farm war klein – dreieinhalb Hektar. Klein genug für mich, um sie bis in alle Winkel zu erkunden, und jeder Winkel hatte sein besonderes Aussehen und seine Eigenart, die ich nicht in Worte hätte fassen können. Es ist leicht erkennbar, was der Drahtschuppen an sich hatte, in dem die langen, bleichen Pferdekadaver an brutalen Haken hingen, oder der zertrampelte, blutgetränkte Boden, wo sie sich von lebendigen Pferden in Fleischvorräte verwandelt hatten. Aber es gab andere Dinge wie zum Beispiel die Steine zu beiden Seiten der Schräge zum Schober, die mir ebenso viel zu sagen hatten, obwohl sich dort nie etwas Denkwürdiges ereignet hatte. Auf der einen Seite lag ein großer, glatter weißlicher Stein, der sich breit machte und alle anderen beherrschte, und so hatte diese Seite für mich etwas Öffentliches, Einladendes, und ich stieg immer auf dieser Seite hoch und nie auf der anderen, wo die Steine dunkler waren und feindseliger zusammenhielten. Jeder Baum hatte ebenfalls etwas ganz Persönliches – die Ulme sah gelassen aus und die Eiche grimmig, die Ahornbäume freundlich und werktäglich, der Weißdorn alt und griesgrämig. Sogar die Gruben in der Flussniederung – wo mein Vater Vorjahren Kies verkauft hatte – besaßen ihren individuellen Charakter, was vielleicht am ehesten zu entdecken war, wenn sie voll Wasser standen wie beim Abfließen des Frühlingshochwassers. Da gab es eine, die war klein und rund und tief und vollkommen; dann die, die sich hinstreckte wie ein Hundeschwanz, und die, deren Form breit und unentschieden war und auf der sich immer kleine Wellen kräuselten, weil das Wasser so flach war.
Mike sah all diese Dinge mit anderen Augen. Und ich ebenfalls, seit er da war. Ich sah sie nicht nur auf meine Weise, sondern auch auf seine, und da meine Weise sich von ihrem ganzen Wesen her nicht mitteilen ließ, blieb sie mein Geheimnis. Seine Weise brachte unmittelbare Vorteile mit sich. Der große, bleiche Stein im Aufgang war zum Herunterspringen da, damit man sich nach kurzem, schnellem Anlauf in die Luft schwingen, über die kleineren Steine im Abhang hinweg, und auf der gestampften Erde neben der Stalltür landen konnte. Alle Bäume waren zum Klettern da, ganz besonders der Ahorn gleich beim Haus, mit dem Ast, auf dem man hinauskrabbeln und sich von da aus aufs Verandadach fallen lassen konnte. Und die Kiesgruben waren einfach dazu da,
Weitere Kostenlose Bücher