Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)
bedankt. Sie müssen eine Tasse Tee trinken.«
»Das wäre schön«, sagte er.
Und dann, als sie sich an den Tisch gesetzt hatten, als die Tassen gefüllt und Milch und Zucker angeboten worden waren – in dem Augenblick, in dem Panik ausbrechen konnte –, hatte sie eine sehr seltsame Eingebung.
Sie fragte: »Was machen Sie eigentlich genau?«
»Was ich mache?«
»Ich meine – was haben Sie gestern Abend mit ihm gemacht? Oder werden Sie das sonst nicht gefragt?«
»Nicht so direkt.«
»Macht es Ihnen etwas aus? Sie brauchen nicht zu antworten, wenn es Ihnen etwas ausmacht.«
»Ich bin nur überrascht. Es macht mir nichts aus.«
»Ich bin überrascht, dass ich gefragt habe.«
»Also gut«, sagte er und stellte seine Tasse auf die Untertasse. »Was man im Wesentlichen tun muss, man muss die Flüssigkeiten aus den Blutgefäßen und der Körperhöhle ablassen, und dabei können Probleme auftreten wie Blutgerinnsel und so weiter, und dann muss man das Notwendige tun, um sie zu umgehen. In den meisten Fällen kann man die Drosselvene benutzen, aber manchmal muss man einen Herzkatheter setzen. Und die Flüssigkeit aus der Körperhöhle lässt man mit einem Ding namens Trokar ab, das ist mehr oder weniger eine lange dünne Nadel an einem biegsamen Schlauch. Aber nach einer Autopsie, wenn die Organe entfernt worden sind, ist es natürlich anders. Man muss Füllmaterial hineintun, um die natürliche Körperform wiederherzustellen …«
Er behielt sie dabei die ganze Zeit im Auge und fuhr vorsichtig fort. Es ging gut – was sie in sich erwachen spürte, war nur eine kühle und umfassende Neugier.
»Ist es das, was Sie wissen wollten?«
»Ja«, sagte sie fest.
Er sah, dass es gut ging. Er war erleichtert und vielleicht dankbar. Er musste es gewohnt sein, dass die Menschen vor dem, was er tat, zurückschreckten oder darüber Witze rissen.
»Und dann injiziert man die Konservierungsflüssigkeit, eine Lösung aus Formaldehyd und Phenol und Alkohol, und oft mit einem Farbstoff für die Hände und das Gesicht. Alle finden das Gesicht wichtig, und da hat man viel Arbeit mit den Augenlidern und dem Verdrahten der Kiefer. Dazu noch Massage und das Gefummel mit den Wimpern und besonderes Makeup. Aber die Leute legen ebenso viel Wert auf die Hände und wollen sie weich und natürlich und nicht mit eingeschrumpelten Fingerspitzen …«
»All das haben Sie getan.«
»Schon gut. Es war nicht, was Sie wollten. Wir machen hauptsächlich bloß kosmetische Sachen. Darum geht es heutzutage, mehr als um längerfristige Konservierung. Sogar den alten Lenin, wissen Sie, den mussten sie immer wieder mit Spritzen voll pumpen, damit er nicht austrocknete oder sich verfärbte – ich weiß nicht, ob sie’s noch machen.«
Eine Ausweitung oder Entspannung, im Verein mit der Ernsthaftigkeit in seiner Stimme, erinnerte sie an Lewis. Sie musste an den Abend vor dem letzten denken, als Lewis schwach, aber voll Befriedigung von den Einzellern gesprochen hatte – kein Zellkern, keine Chromosomenpaare, keine was sonst noch? –, die für nahezu zwei Drittel der Geschichte des Lebens auf der Erde die einzige Lebensform auf dem gesamten Erdball gewesen waren.
»Also die alten Ägypter«, sagte Ed, »die hatten die Vorstellung, dass die Seele auf eine Reise geht, die dreitausend Jahre dauert, und dann kehrt sie zum Körper zurück, und der Körper soll deshalb in relativ guter Verfassung sein. Ihr Hauptanliegen war also die Konservierung, die wir heute nicht annähernd im gleichen Ausmaß haben.«
Keine Chloroplasten und keine – Mitochondrien.
»Dreitausend Jahre«, sagte sie. »Dann kehrt sie zurück.«
»Nach Meinung der alten Ägypter«, sagte er. Dann stellte er seine leere Tasse hin und bemerkte, dass er langsam nach Hause müsse.
»Ich danke Ihnen«, sagte Nina. Dann, hastig: »Glauben Sie an so etwas wie die Seele?«
Er stand auf und stützte sich mit den Händen auf den Küchentisch. Er seufzte und schüttelte den Kopf und sagte: »Ja.«
Bald nachdem er gegangen war, brachte sie die Asche hinaus und stellte sie auf den Beifahrersitz des Autos. Dann ging sie ins Haus zurück, um ihre Schlüssel und einen Mantel zu holen. Sie fuhr ungefähr eine Meile weit aus der Stadt hinaus zu einer Kreuzung, hielt an und stieg aus und ging mit der Schachtel eine Nebenstraße entlang. Die Nacht war sehr kalt und vollkommen still, der Mond stand schon hoch am Himmel.
Die Straße verlief anfangs durch morastiges Gelände, wo
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