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Himmel und Hölle

Titel: Himmel und Hölle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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sich.
    Alles hätte so schön sein können, wenn ich nicht in der 28. Woche Wehen bekommen hätte.
    Und das ausgerechnet jetzt!, dachte ich sauer. Es war Sommer, und es war heiß.
    Wieso kann ich denn nicht einfach in Ruhe schwanger sein wie andere Leute auch? Ich rauche nicht, ich trinke nicht, ich nehme nicht zu viel zu, ich mache keine
Nachtdienste und ernähre mich gesund! Aber nein! Die Natur forderte jetzt einfach ihr Recht.
    Mitten in einer wichtigen Operation setzten so starke Wehen ein, dass es mir nicht mehr gelang, den Professor zu täuschen.
    »Frau Kuchenmeister, Sie gehören ins Bett!«, befahl Professor Aigner, nachdem ich mich am OP-Tisch vor Schmerzen gekrümmt hatte. »Und zwar sofort.«
    »Bitte nicht!«, jammerte ich. »Sie wissen ganz genau, dass ich für die nächste Prüfung noch zwölf vaginale Hysterektomien, sechsundvierzig Proktoskopien, zweiundzwanzig Pelviskopien und hundertsechsunddreißig Geburten brauche, davon mindestens zwei Dutzend Kaiserschnitte, Frühgeburten, Mehrlingsgeburten, Steißlagen, Zangengeburten …« Mir liefen die Tränen herunter.
    »Und wenn ich Sie eigenhändig ins Bett tragen muss!«, schnauzte Aigner mich an. »Sonst wird das hier eine regelwidrige Frühgeburt!«
    Die anderen starrten mich entgeistert an. Tränenausbrüche im OP waren bei mir noch nie vorgekommen.
    »Kuchenmeister ab sofort beurlaubt!« Wütend warf der Professor das Operationsbesteck auf das bereitliegende Tablett. »Station drei. Einzelzimmer. Damit sie mir die anderen Patientinnen nicht verrückt macht!«
    Er hielt die Hände hoch, jemand tupfte ihm den Schweiß ab, und ich zuckte unter seinem besorgten Blick zusammen, der mich über seinem grünen Mundschutz fixierte.
    »Los, weitermachen! Schmidt, Sie übernehmen!«

    Sofort kam dienstbeflissen aus dem Hintergrund mein Studienkollege herbeigeeilt, der nur darauf gewartet hatte, selbst mit Hand anlegen zu dürfen. Verdammt! Das wäre MEINE Prüfungs-OP gewesen! Ich heulte vor Wut. Aus Selbstmitleid jedenfalls nicht.
    Kurz darauf befand ich mich auf meiner eigenen Station. Allerdings im Bett liegend. Welch völlig neue Situation! Ich sah mich um. Aus dieser Perspektive hatte ich die ganze Angelegenheit noch gar nicht betrachtet! Wie hilflos man sich fühlt, dachte ich. Und wie angewiesen man doch auf die Schwestern ist!
    Eigentlich musste ich dringend nach der Bettschüssel klingeln. Wie alle Schwangeren musste ich nämlich dauernd Pipi, aber das kam für mich genauso wenig infrage, wie bei Rot über die Ampel zu fahren. Die Schwestern hier hatten doch echt Besseres zu tun, als MIR beim Pipimachen behilflich zu sein! Also verdrückte ich mir den Drang und überlegte, was mit den restlichen zwölf Schwangerschaftswochen anzufangen sei. Ich musste liegen! Konsequent! Drei endlose Monate! Zwölf Wochen! Vierundachtzig Tage und Nächte! Mal vierundzwanzig … Meine Gehirnzellen arbeiteten auf Hochtouren. Das waren so knapp über zweitausend Stunden!!!
    Zweitausendsechzehn. Uff. Was HÄTTE ich in dieser Zeit alles tun können. Wie viele OPs absolvieren. Wie viele Prüfungen.
    Mein Gott!, ging es mir durch den Kopf. Geht das eigentlich allen Schwangeren so? Dass man auf einmal die Tage und Stunden zählt? Bis es VORBEI ist? Das
hatte ich mir nie klargemacht, wenn ich mit eingerissenen Kitteltaschen von einer zur anderen gehetzt war.
    In meinem ehrgeizigen, hektischen Leben war bisher noch keine Sekunde Langeweile aufgekommen. Sollte ich jetzt etwa zwölf Wochen lang in die Glotze starren, die mir als Privatpatientin versicherungstechnisch zustand? Oder stricken? Oder mich und meine Umwelt langweilen?
    Nein. Auf keinen Fall. Stefan vergeudete keinen Moment seines kostbaren Lebens. Er war zielgerichtet wie ein Indianerpfeil. So ist die Situation, und das machen wir jetzt daraus. Selbstmitleid ist Mist. Los, positiv denken! Alles hat seinen Sinn im Leben.
    Ich wälzte mich vorsichtig vom rechten auf das linke Schulterblatt und achtete darauf, mir dabei nicht den Tropf mit den Wehenhemmern aus dem Arm zu reißen.
    Ja wie? Drei? Monate? So? Liegen?
    Lieber Gott, das ist jetzt aber nicht dein Ernst, oder? Mach, dass Professor Aigner reingeweht kommt und ruft: »April, April, Konstanze, ich wollte nur mal testen, wie folgsam Sie sind! Das sind gar keine Wehen, sondern nur kleine Flatulenzchen! Wir haben Ihnen einen Streich gespielt und etwas in den Tee getan, haha! Stehen Sie auf und machen Sie weiter!«
    Ähm. Nein. Aua! Das sind wohl doch Wehen. Das sind

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