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Himmel und Hölle

Titel: Himmel und Hölle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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seine Rückkehr wartete. Dabei besaß ich Fähigkeiten und Qualifikationen, von denen viele Männer nur träumen können! Ich hatte mich doch nicht jahrelang mit meinem Studium und den ganzen unterbezahlten Praktika und Krankenhausjobs geschunden, um jetzt in einer Dreizimmerwohnung auf dem Billi-Dach herumzusitzen und alle zwei Minuten
die krampfhaft gut gelaunte Stimme mit den Sonderangeboten aus dem Lautsprecher zu hören!
    »Billi heute - nah und frisch! Heute im Angebot: zwei Kilo Kartoffeln, mehlige Sieglinde, für neunundvierzig Cent! Dazu tiefgekühlte Schweinelendchen. Gönnen Sie sich und Ihren Lieben mal wieder Sekt! Zwei Liter im Tetra-Vorteilspack nur zwei Euro siebenundneunzig!«
    Ich konnte sie nicht mehr hören! Ich wollte ARBEITEN!!! Menschen helfen! Frauen beistehen! Dem Krebs den Kampf ansagen!
    Na gut. Meinen Facharzt machen. Erst mal. Jetzt sofort. Die Jahre flogen auf einmal nur so dahin. Ich war doch keine Rabenmutter, nur weil ich meinen Grips gebrauchen wollte! Männer sind doch auch keine Rabenväter, nur weil sie beruflich erfolgreich sind, fleißig, ehrgeizig und zielorientiert.
    Ich liebte es, Mutter und Ehefrau zu sein - Letzteres immerhin schon sieben Jahre - verflixte sieben Jahre. Ja, das waren schöne Aufbaujahre mit Stefan gewesen, aber verdammt noch mal auch anstrengende Jahre. Gerade bei diesem Mann, der immer tausendprozentig alles gab. Und auch erwartete. Offensichtlich fehlte es mir an Geduld und Langmut. Oder an der Schlichtheit im Kopf, die frau in diesem Lebensabschnitt haben sollte. Gibt es Männer, die solche Jahre unbeschadet durchstehen? Wenn, dann würden sie heiliggesprochen. Einem alleinerziehenden Vater würde man ein Denkmal setzen, zu dem Hundertschaften pilgern würden. Und zwar nicht auf dem Jakobsweg, sondern auf
dem Rüdiger- oder Detlefweg oder wie der alleinerziehende Vater auch immer hieße. Aber von uns Frauen wird erwartet, dass wir uns klaglos auf das Gehirnvolumen eines Regenwurmes herunterschrumpfen. Kollektiv, wohl gemerkt. Von wegen mehlige Sieglinde! Ich weigerte mich, in Mutter-Kind-Gruppen zu gehen und über den breiigen Durchfall des Nachbar-Säuglings zu reden. Ich verspürte auch nicht die geringste Lust, mit meinem Krabbelkind auf Papp-Bilderbücher einzudreschen und ihm dabei die Spucke vom Kinn zu wischen. Es interessierte mich nicht, wie lange ein anderes Kind durchschlief, wann es sein Bäuerchen machte und ob es zuerst Mama oder Papa sagte.
    Als Gynäkologin interessierte mich das. Als Ansprechpartnerin für meine Patientinnen. Um ihnen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Oder nur durch Zuhören. Aber nicht als Krabbelgruppenmutter mit Latzhose und ausgelaufenem Tee in der Wickeltasche.
    Meine eigenen Kinder interessierten mich. Aber mein jahrelanges Lernen sollte nicht umsonst gewesen sein.
    Zugegebenermaßen wurde ich während dieser zweiten Schwangerschaft, während der ich wieder monatelang liegen musste, richtig unleidlich. Und so schrieb ich dann tatsächlich meine Doktorarbeit fertig. Eines fand ich jedenfalls heraus: Die alleinige Inkubation mit physiologisch dosiertem IGF-I in serumfreiem Medium wirkt nicht mitogen auf die Ovarial-Tumorzellen … Ach, das war jetzt nicht so verständlich ausgedrückt? Entschuldigung. Einfach auf den Punkt gebracht,
bedeutet das: Man dachte, IGF-I wirkt wie ein Dünger bei Eierstockkrebs und beschleunigt das Krebswachstum. Aber so einfach ist es nicht, wie so oft im Leben. IGF-I alleine ist nicht der Übeltäter, es sind mehrere Faktoren für so eine Katastrophe verantwortlich, und welche, das war mein Thema.
    Wenn Stefan mal wieder in die Wohnung polterte und sich quasi im Eilschritt etwas zu essen machte, hörte ich mich rufen: »Schatz, könntest du bitte nicht ins Wohnzimmer krümeln! Geh zum Essen auf die Terrasse!« In solchen Momenten wurde mir mit Grauen bewusst, dass ich auf dem besten Wege dazu war, eine spießige oberfränkische Hausfrau zu werden. Ich wollte hier weg!
    Ich war Ärztin. Und zwar aus Leidenschaft. Immer öfter motzte ich, dass ich es in der Billi-Dachwohnung mit der Folter aus dem Lautsprecher nicht mehr länger aushielt.
    Und irgendwann hatte Stefan ein Einsehen.
    Wir holten die Landkarte raus und überlegten, wo es für uns strategisch am günstigsten war: nämlich an einer Autobahnausfahrt zwischen Stefans Billi-Markt samt gräflichem Büro und meiner Klinik in der Oberpfalz.
    Stefan hatte inzwischen genug Geld verdient, um seiner bald vierköpfigen Familie eine

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