Himmel und Hölle
bessere Behausung bieten zu können. Wir zogen also noch während meiner zweiten Schwangerschaft mit unserer süßen Mini in die Nähe von Nürnberg, nach Lauf, wo wir uns eine piekfeine Villa mieteten. Die war so richtig
chic und teuer, aber Stefan meinte, ich solle mir keine Sorgen machen.
Kurz nach dem Umzug begann Stefan zu laufen. Der bekannte Lauf-Papst Dr. Ulrich Strunz lebt ganz in der Nähe in der Triathlonhochburg Roth. In einem seiner brechend vollen Lauf-Seminare gelang es ihm, Stefan total zu infizieren. Dr. Strunz vertritt die Auffassung, dass ein Mensch, der sich täglich mindestens eine halbe Stunde Fett verbrennend bewegt, ein gesundes, ausgeglichenes Leben führt. Dem kann ich als Medizinerin nur zustimmen: Man kann sich seine Endorphine, also Glückshormone, tatsächlich selbst basteln. Man muss dazu nicht zu Tabletten greifen oder zu Alkohol.
Aber da saß ich nun in der feinen Villa auf dem Sofa, hütete ein Kind und wartete auf das andere. Wie gern wäre ich aufgesprungen und losgelaufen! Wie gern! Einen Marathon wäre ich gelaufen, wenn man mich nur gelassen hätte! Aber ich war schwanger und musste mich schonen. Meine Laune hob sich dadurch keinesfalls.
»Liebster? Bist du schon da?«
»Ja, mein Herz! Ich bin es!« Stefan kam auf Socken ins Wohnzimmer, küsste die Minimaus auf die Glatze und dann mich auf die Wange. »Hm, du riechst gut …«
Ich hielt ihn auf Armeslänge von mir ab. Irgendetwas an seiner Stimme machte mich stutzig.
»Hat der Graf dich rausgeworfen?« Das sollte ein Scherz sein, aber Stefan sah vollkommen ernst drein.
»Konstanze, Liebes. Ich hoffe so sehr, dass du es verstehst: Nicht der Graf hat mir gekündigt, sondern wir haben uns einvernehmlich getrennt.«
»Spinnst du?!« Wie von der Tarantel gestochen fuhr ich hoch und stieß mir den Kopf an der Stehlampe.
Die kleine Minimaus fing an zu weinen. Stefan nahm sie vorsichtig von meinem Schoss und streichelte ihr Köpfchen.
»Schau, Konstanze, ich bin jetzt Mitte dreißig und will wissen, was hinter dem Horizont noch kommt.«
Obwohl er mein vollstes Verständnis hatte, starrte ich ihn fassungslos an: »Wir haben hier eine schweineteure Villa gemietet, ich liege schwanger auf dem Sofa, und du hast deinen Job aufgegeben?«
»Ich muss jetzt endlich mal zu mir selbst finden«, konstatierte Stefan. Er kniete sich vors Sofa, legte seinen Kopf auf meinen Bauch und bat mich, ihm zuzuhören. »Ich habe jetzt fünf Jahre lang geschuftet und Geld verdient, bin von Termin zu Termin gerast, hatte einen schweren Unfall, bei dem ich noch mal glimpflich davongekommen bin …« Er blinzelte eine Träne weg. »… und muss aufpassen, dass ich mich nicht verrenne.«
Ja. Er hatte immer nur funktioniert. Wie eine Maschine. Genau wie ich. Ich sank wieder zurück in meine Liegeposition und strich ihm über den Kopf. »Aber wie stellst du dir das vor? Hat dir das etwa der Dr. Strunz eingeredet? Hm?«
Nichts gegen meinen hochverehrten Kollegen Dr. Ulrich Strunz! Aber er hatte schon etwas von einem
Messias. Bereits Petrus und seine Kumpel haben damals die Fischernetze fallen lassen und sind ihrem Meister gefolgt. Wie viele schwangere Frauen sie ratlos auf häuslichen Sofas zurückließen, davon ist in der Bibel nichts überliefert.
Der Graf hatte übrigens kein Verständnis für Stefans Entscheidung. Er stellte ihm trotzdem ein Superzeugnis aus und legte noch Geld für das Sabbat-Jahr obendrauf. Der Graf war ein toller Boss gewesen, ein väterlicher Ratgeber. Stefan hatte viel bei ihm gelernt, aber jetzt musste er seinen eigenen Weg gehen.
»Es bringt nichts, wenn ich wie ein Hamster im Laufrad rotiere, sonst habe ich bald ein Burn-out-Syndrom. Dann habt ihr auch nichts mehr von mir. Bitte gönn mir dieses eine Sabbat-Jahr!«
Oh je! Das hörte sich wirklich nach einem Messias an. Wenn dieses Exemplar Wasser in Wein verwandeln und Brot vermehren könnte, ließe sich ja vielleicht noch darüber reden. Aber so …
»Liebster, wir können uns das nicht leisten!« Ich hörte mit dem Tätscheln auf. »Du meinst, wenn ich schon tatenlos herumliege, kannst du dich auch mal ein bisschen ausruhen?«
»Nein. Keinesfalls. Ich ruhe mich nicht aus. Aber ich muss zu mir finden. So lange reichen unsere Ersparnisse, das habe ich mir bereits alles ausgerechnet. Und wenn ich dann weiß, was ich wirklich kann und will, starte ich wieder voll durch.«
Mein Mann redete in Rätseln. »Und was hast du vor, in diesem Sabbat-Jahr? Ich meine … wenn du
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