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Himmel und Hölle

Titel: Himmel und Hölle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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Es reichte. Tapfersein und Wehen-Veratmen hin oder her. Ich wollte gebären. Jetzt!
    Stefan schob mich mit erstaunlicher Geschwindigkeit in den Kreißsaal.
    Der Muttermund war acht Zentimeter offen! Meine Lieblingshebamme Susanne war sofort zur Stelle. »Konstanze, du hättest dich viel früher melden müssen!«
    »Meinst du wirklich?«
    »Ich weiß, dass du immer Rücksicht auf uns nehmen willst. Aber jetzt darfst du dich auch selbst mal wichtig nehmen. Du darfst schreien und fluchen und um dich schlagen. Machen doch alle!«
    »Ist okay«, sagte ich mit letzter Kraft.
    »Na also!«, meinte Susanne. »Du darfst dir auch mal was gönnen. Ich ruf jetzt den Herbert an. Falsche Tapferkeit ist hier überhaupt nicht angebracht. Gehen Sie mal zur Seite, Herr Kuchenmeister. Setzen Sie sich, und entspannen Sie sich.«
    Das war eigentlich mein Text, den ich immer zu werdenden Vätern sagte. Ich konnte sie ja schlecht anschreien: »Halten Sie die Klappe, und fassen Sie die Frau nicht an!« Die Schlimmsten hatten ja auch noch
eine Videokamera dabei. Mein Stefan stand blass an der Wand und hielt dankenswerterweise die Klappe. Mein Liebster war ja so lernfähig!
    Mein Kollege Herbert, der diensthabende Anästhesist, spendierte mir eine erlösende PDA. Endlich ließen die unerträglichen Schmerzen nach. Eine PDA ist wie Weihnachten und Ostern zusammen! Ich seufzte erleichtert. Lieber Gott, dachte ich dankbar, gleich habe ich es geschafft. Gleich habe ich eine Tochter.
    »Na, Frau Kuchenmeister, geht es los?« Professor Aigner steckte seinen Kopf zur Tür herein. »Soll ich Sie mal eben entbinden?«
    Ähm, huch. Also ich meine, nein danke.
    Solcherlei Vertraulichkeiten vonseiten meines Vorgesetzten waren mir höchst unangenehm. Es war mir schon hochnotpeinlich, dass er nach Stefans Unfall bei mir auf der Bettkante gesessen hatte. Mehr Privatatmosphäre wollte ich nun wirklich nicht zulassen.
    »Nicht doch, Professor!«, wehrte ich halb betäubt vor mich hin lächelnd ab. »Susanne und ich haben hier alles im Griff.«
    »Sie stehen aber diesmal nicht am Fußende, Verehrteste.«
    »Oh, das macht nichts. Verschwenden Sie hier nicht Ihre kostbare Zeit.«
    »Ich bin sowieso extra noch mal vom Parkplatz reingekommen, als ich die Lichter im Kreißsaal sah«, ließ mein Chef nichts unversucht. »Lassen Sie mal sehen, wie weit der Muttermund …«
    »Nein, nicht doch! Das dauert hier noch ewig.«

    Der Professor runzelte die Stirn. »Bitte. Ich will mich nicht aufdrängen.« Mit diesen Worten drehte er sich abrupt um und verließ den Raum.
    »Und tschüs«, murmelte Susanne hinter ihm her.
    Mein Kollege Alexander schlüpfte kurz darauf hinein. Wahrscheinlich hatte Professor Aigner ihn geschickt. Kaum hatte der arme Alexander sich zum Ort des Geschehens hinuntergebückt, spritzte dem Mann schon das Fruchtwasser entgegen. Solcherlei Angelegenheiten war er zwar gewöhnt - aber ICH war es eben nicht gewöhnt. Solche Peinlichkeiten selbst zu verursachen, meine ich. Nicht im Geringsten.
    Alexander putzte sich die Brille, betrachtete interessiert mein Inneres und griff dann mit geübtem Griff hinein.
    Tausendmal hatte ich das schon selbst getan. Aber jetzt zerriss es mich. Es war fünf Minuten nach elf. Und es war immer noch der neunte Neunte, schoss es mir durch den Kopf. Der neunte Neunte Neunundneunzig. Wenn unsere Maus nicht so ein außergewöhnliches Geburtsdatum verdient hatte, wer dann?
    Ich arbeitete mit dem plötzlichen Pressdrang, und auf einmal war mein Kind auf der Welt! In mir brauste ein riesiges Orchester los: Beethovens Neunte! DATATATAAAAAAA!
    »Wie, das war’s schon?«, fragte ich verdutzt. »Das ging ja schnell!«
    »Wie süß du bist!«, murmelte Stefan ergriffen. »Da quälst du dich seit Monaten, und jetzt sagst du, es ging schnell!«

    »Na ja … das Finale!« DATATATAAAAAAA! Selig lächelte ich meinen Mann an, der nun die Hand nahm, die ich ihm reichte.
    »Ich habe selten eine so diskrete Geburt erlebt«, meinte Professor Aigner anerkennend von der Tür aus. »Man hat ja gar nichts gehört!«
    Dabei spielte doch ein riesiges Symphonieorchester!
    »Haben Sie etwa gelauscht?«, fragte ich und kicherte leicht hysterisch, während Alexander mit der Dammnaht begann.
    Der Professor habe »noch am Computer zu tun gehabt«, also quasi nebenan. »Respekt, Herr Kuchenmeister. Ihre Frau ist zäh.«
    Stefan und ich wechselten einen innigen Blick. Ich war Mutter! Wir hatten eine Tochter!
    »Es ist zwar ein Frühchen, wiegt aber

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